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Die Wege sind es nicht, die sich an mich erinnern werden.
Laos Tagebuch im Jahr 2003 von Ilona Duerkop

Vientiane, Montag
den 6. Januar 2003

 
Heute Abend im Filmforum, haben wir einen alten Steven Spielberg Film gezeigt. Wenn ich mich recht erinnere, dann ist dieser Film der erste Film von Steven Spielberg. Das Filmforum macht seit drei Jahren Programmkino. Jeden Montagabend um 20 Uhr. Unser Kino steht inzwischen sogar schon im Lonely Planet.
Das Kino hat bereits Geschichte. Seit über sieben Jahren gibt es einen Kinoabend an der deutschen Botschaft. Es war eine Lektorin des DAAD (deutscher akademischer Austauschdienst), die das Kino für die deutsche Community in Laos ins Leben gerufen hat. Eine Bereicherung des sehr spärlichen kulturellen Angebotes, dass es damals in Laos gab. 
Unser Programm hängt in Vientiane aus, und in der Vientiane Times kann man unsere Termine ebenfalls nachlesen. Touristen nehmen unser Angebot gerne an. Vor allem jene, die schon seit mehreren Wochen oder gar Monaten unterwegs sind, sind ein wenig ausgehungert und freuen sich darauf, nach all den vielen Reisebildern, mal wider vertraute Bilder zu sehen.  Vielen von ihnen nutzen auch die Gelegenheit um Fragen über Laos zu stellen und wir geben unser Wissen gerne weiter. So ist neben dem Kino beinahe schon eine Informationsbörse entstanden.
Viele interessante Gespräche, vor und nach dem Kino.
Es ist schon vor gekommen, dass einige Reisende nicht nur wegen dem Film zur deutschen Botschaft kamen, sondern auch weil sie neugierig waren, wer die Autorin der Laos Tagebücher ist. Ich erkenne sie meist schon an ihrem Lächeln, sie lächeln als kennen sie mich bereits. Mich wundert es nicht, schreibe ich doch in meinem Laos Tagebuch über das was ich erlebe und wie ich „mein Laos“, so nannte es einer meiner Leser, sehe.

Vientiane, Dienstag
den 14. Januar 2003

Wat Sisakhet. Ich sitze auf meinen Fersen vor dem goldenen Buddha, der mit geschlossenen Augen milde auf mich herab lächelt, die Schuhe habe ich auf der ersten Stufe zum Sim stehen gelassen.  Es ist das einzige Paar Schuhe und ich bin alleine. Das ganze Sim ist angefüllt mit dem Geruch nach Fledermauskot. Streng. Alt. Der Besen der dafür sorgt, dass sich der Kot nicht auf dem Fußboden sammelt, steht halb versteckt in einer Ecke. 
Die französische Restauratorin fällt mir ein, die ich im vorletzten Jahr hier getroffen habe. Sie saß lange, wie ich auf meinen Fersen und ließ die Atmosphäre und die schon halb von der Zeit zerstörten Wandmalereien auf sich wirken. Die Darstellungen sind kaum noch zu erkennen. „Viel Arbeit“, sagte sie. Wenn man es schnell machen wollte, müsse man mit 8 Monaten rechnen. Die Kosten dafür wären schon erheblich. Die laotische Regierung hat kein Geld, für die Restaurierung, am allerwenigsten. 
Das alte Laos zieht die Touristen an, es ist neben der Natur, dass einzige Kapital von dem Laos zehren kann. Die Regierung weiß das, deshalb hat man auch die Restauratorin gerufen. Gelder aus einer Stiftung stehen ihr zur Verfügung. Doch hier vor Ort, wurde ihr klar, dass die Stiftungsgelder zur Errettung der Wandmalereien, von Wat Sisakhet, nicht ausreichen würden. So fotografierte sie bedauernd mit ihrem Gedächtnis und der Camera.
Es fiel ihr schwer zu gehen und nichts ausrichten zu können.
Die Wandmalereien: In einem Jahr hat sich nicht viel verändert. Man hat das Dach besser abgedichtet. Einige Schlupflöcher der Fledermäuse verstopft und tatsächlich, erst jetzt merke ich, dass der Geruch nach Fledermauskot längst nicht mehr so gegenwärtig ist, wie vor zwei Jahren.
Wat Sisakhet ist Museum und lebendige Pagode zugleich. Auf dem Watgelände leben immer noch Mönche. Viele Novizen und junge Mönche trifft man in den Stunden nach dem Unterricht und vor dem Gebet. Das älteste Wohnhaus steht immer noch auf Stelzen, wenn die Holzstelzen auch durch Betonstelzen ersetzt wurden. Das, durch alter gedunkelte Holz des Oberbaues, wirkt fast lebendig. Vor den Gemeinschaftsträumen stehen Schulbänke. Hier findet ein spontaner Unterricht statt. Eine kleine Gruppe von Touristen wurde von den Mönchen eingeladen. Eifrige Köpfe beugen sich über Bücher, stolz über das bereits gelernte und begierig Neues zu lernen. Alle sind mit Feuereifer dabei. Mir ist als sehe ich die Wangen glühen, doch bei den dunklen Gesichtern ist davon nichts zu sehen. Die Touristen genießen ihr Zusammensein mit den Mönchen als etwas besonderes. Sie sind ganz gefangen und haben keinen Blick für das, was außerhalb dieses Schulzimmers um sie herum geschieht.

Vientiane, Mittwoch
den 15. Januar 2003

In einem der Tempel um das That Luang ist eine Totenfeier. Viele Menschen sind gekommen und vor dem Tempel steht ein Sonnenschutz aus bunten Stoffbahnen, in dessen Schatten weiße Plastikstühle stehen, auf denen einige alte Männer sitzen. Kinder laufen fröhlich umher. Unter dem mächtigen Bodhibaum sitzen Männer aus dem Dorf und betrachten das Treiben auf dem Tempelvorplatz mit wohlwollendem Interesse. Vor den Stufen die hinauf zum Tempel führen, stehen unzählige Schuhe, manche übereinander. Eine Ansammlung von Schlappen, aus denen man leicht heraus schlüpfen kann. Ein elegantes Paar Herrenschuhe und einige hochhackige Damensandalen. Plastikschuhe mit schwindeleregenden Platos, die ihre Besitzerinnen bis zu 15 cm größer werden lassen. . Achtlos schlüpfe ich aus meinen Schuhen und steige in und über die Schuhe der anderen hinweg. Mit jeder Stufe die ich betrete wächst der Rahmen in der Tür, der mir Einblick gewährt in das Innere des Tempels. Der mächtige Kopf der vergoldeten Buddhastatue vervollständigt sich, der leicht lächelnde Mund, der besänftigend wirkt und Sinnbild der  inneren Ruhe, die Buddha fand und die jener Künstler zum Ausdruck gebracht hat. Eine orangfarbene Robe verhüllt eine Schulter, wodurch die entblößte noch nackter wirkt. Buddhas rechte Hand ruht mit der Innenfläche nach außen in seinem Schoß, die linke Hand berührt mit den Fingerspitzen die Erde, meditierend wird Buddha meist im inneren eines Tempels dargestellt. Der Lotusthron wird verdeckt von einer spitzen Pyramide aus blendend weißem Stoff und Papier, im inneren der Pyramide befindet sich der Leichnam. Blumen, Kerzen, Räucherstäbchen verbreiten einen Duft der mehr mit dem Leben, als mit dem Tod zu tun hat. Hinter einem niedrigen Tisch sitzen Mönche auf dem Boden und beten in dem vertrauten Singsang. Zusammen mit den beiden alten Frauen die mich die Treppen hinauf begleitet haben setze ich mich auf die langen Matten, auf denen schon viele andere Frauen sitzen. Eine Frau reicht auf einem grellbunten Plastiktablett Gläser mit Pepsi, lächelnd lehne ich ab.
Ich betrachte das Foto, von dem mich der verstorbene milde anlächelt und mir beschwörend in die Augen schaut. Ein wacher Blick in einem lebhaften Gesicht. Er trug die Robe und war ein Mönch dieses Tempels. Die beiden Frauen erzählen mir das er 70 Jahre alt gewesen sei und der Leiter dieses Tempels war, deshalb auch die große Totenfeier, die Lautsprecher vor dem Tempel, Stühle, Sonnenschutz und die Fläche die mit Plastikschnur abgetrennt wurde - der Mopedparkplatz. 
Drei oder vier Tage dauern die Feierlichkeiten schon an, die beiden zarten alten Frauen können sich nicht einigen und ihr Lächeln entblößt die betelroten Zähne. Ich erfahre noch das er in Pakse geboren wurde und das er mit 20 Jahren die Robe anzog und nie wieder ausgezogen hat. Auch sie erfahren einiges von mir, wie lange ich in Laos lebe, Kinder, meine Arbeit und das meine Mutter traurig darüber ist, mich soweit zu wissen befriedigt sie sehr. Die Frauen vor uns drehen sich um und lächeln mir zu.  Auch sie haben Kinder. Ein alter Mann der unserem Gespräch schon eine Weile gefolgt ist, erzählt von seinem Sohn der schon seit 26 Jahren in Frankreich lebt und eine Französin geheiratet hat. Er bedauert das er mir kein Foto seiner Enkel zeigen kann. Sein Sohn besucht ihn so oft er kann, seine Schwiegertochter hat er nie kennen gelernt, sie möchte nicht nach Laos kommen. Auch wenn er es nicht versteht so ist er nicht böse deshalb, etwas traurig vielleicht, doch schnell verschwindet dieser Ausdruck auf seinem Gesicht wieder und seine kleinen  Augen funkeln wieder, wie die eines Kindes das einen Streich ausheckt. Seine Schwiegertochter weiß nicht was ihr entgeht, ich bedaure sie darum das sie diesen Mann nie kennen lernen wird. Ein bisschen bin ich ihre Stellvertreterin und ich merke dem Mann an das er mich gerne umarmen möchte, an ihrer statt. Im nächsten Jahr wird sein Sohn ihn zusammen mit den Kindern besuchen. Sie sprechen kein laotisch, nicht ein Wort, sagt er. Meine Frage ob er französisch spricht, beantwortet er wie ich erwartet hatte, mit einigen Sätzen in Französisch.

Vientiane, Dienstag
den 20. Januar 2003

Wenn der Reisende auf die fließenden Wasser des Mekong schaut, so wundert er sich meist über die Langsamkeit, die ruhende Strömung. Ein Stock, den er in den Mekong werfen mag, wird sich schnell mit der Strömung flussabwärts bewegen. Ungläubig wird der Reisende dem Stock nachschauen, der auf dem  milchkaffee farbenem Wasser schnell aus dem Gesichtsfeld des Reisenden verschwindet.
Ähnlich verhält es sich in Laos mit der Zeit. Ein Tag scheint viele Stunden zu haben und dennoch ist er überraschend schon zu Ende. Verwandelt sich hinterrücks in eine ganze Woche. Zwei Monate rauschten auf diese Weise am Laos Tagebuch vorüber.
Nur die Galerie veränderte sich in dieser Zeit und erzählte bildreich von meinen laotischen Tagesreisen hinaus in die asiatische Welt, die schon mit dem Atmen beginnt. Am Abend, wenn die würzigen Laubfeuer brennen, am Straßenmarkt die Hühnerbeine und Flügel auf dem improvisierten Grill liegen, Grillbananen gleich nebenan. Rauchblaue Wolken ziehen träge in den Himmel, scheinen wie Säulen still zu stehen.
Ähnlich dem Mekong, dass Land Laos selbst, nur scheinbar steht!

Vientiane, Samstag
den 25. Januar 2003

Khu Ba Bounthanome sitzt auf der Terrasse. Sein zweiter Besuch in meinem Haus. Vor ihm aufgeklappt steht mein Laptop. Wir schauen uns die Bilder aus Yangon an, über 250 Bilder laufen langsam vor uns ab. Besonders interessieren Khu Ba Bounthanome die Bilder der burmesischen Mönche. Für die Bilder der in rosa gekleideten Nonnen interessiert er sich nicht. Ich erzähle trotzdem von ihnen. 
Sie haben es schwer, und in ihre Schalen wandert längst nicht soviel, wie in die Schalen der Mönche. Trotzdem sind sie immer fröhlicher und offener gewesen als die Mönche. Wie fröhliche Elfen oder Waldgeister erschienen sie mir, den Schalk im Nacken.
Bounthanome trägt ein rot braunes Gewand am heutigen Tag und er macht mich darauf aufmerksam, dass auch viele der Mönche, auf den Bildern, die gleiche Farbe tragen. In Laotisch erkläre ich ihm, dass die Farben der Roben in Burma eine Zugehörigkeit, zu einer bestimmten Vereinigung zum Ausdruck bringen. Mein laotisch wirkt holprig, mir fehlen einige Vokabeln, zum Glück bin ich Meisterin der Umschreibung und Bounthanome versteht auch meine Wortbilder, dass machte ihn mir von Anfang an sympathisch.
Er erklärt mir, dass die Farbe seiner Robe nur die Herkunft aus seiner Provinz zum Ausdruck bringt. Er ist genauso erstaunt wie ich darüber, dass die Nonnen und Mönche sich den ganzen Tag auf Bittgängen befinden können und darüber das sie auch Geld annehmen. Die Mönche in Laos machen ihre Bittgänge nach der Meditation und den langen Morgengebeten, zwischen 6 und 7 Uhr. 
Wie gerne hätte ich ihm die vielen Tempel der Shwedagon Paya (Pagode) gezeigt. Das Neben - und Miteinander, burmesischer, hinduistischer,und nepalesischer Pagoden.
Ob er die Geschichte kennt, von Izza-Gawna. Er war der legenderer Mönch, der seine verlorenen Augen, durch das Auge einer Ziege und eines Büffels ersetzte und fort an wieder sehen konnte. 
Ob er wohl weiß, dass die Shwedagon Paya Pagode acht Haare des Buddhas beherbergt?
Wir hätten tagelang dort bleiben können. Obwohl ich fast sicher bin, dass die burmesischen Mönche unsere Freundschaft nicht gut heißen würden.

Vientiane, Donnerstag
den 13. Februar 2003 

Das Telefon klingelt. Bounthanome ist am anderen Ende. Seine Stimme kommt aus Pakse, 700 Kilometer von Vientiane entfernt. Er ruft an um mir zu sagen das er Morgen wieder in Vientiane sein wird. Ich habe nicht gewusst das er nicht in Vientiane ist.  Eigentlich ruft er aus einem ganz anderen Grund  an. Er ruft an um mir zu sagen das sein kleiner Bruder bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, die Botschaft verpackt in Nebensätzen, ist der eigentliche Grund für seinen Anruf.

Vientiane, Sonntag
den 16. Februar 2003 

Khu Bha Bounthanome ist einfach vorbei gekommen. Noch steht das Frühstück auf dem Tisch und da es noch Vormittag ist, lade ich ihn ein zuzugreifen. Ich würde ihn gerne sehen, wie er ein Brötchen schmiert, doch er lacht nur und schaut sich auf dem Tisch um.
Sein Besuch überrascht mich etwas. Ich überlege was wir zusammen unternehmen können. Pans Ziehvater kommt mir in den Sinn, der kräuterkundige alte Mönch, ich habe ihn schon zwei Jahre nicht mehr gesehen. Das letzte Mal habe ich ihn zusammen mit Pan besucht und drei Säcke Zement mitgebracht. Mit dem Zement sollte der Bau eines kleinen Wohnhauses begonnen werden, damit der alte Mann nicht im Hauptgebäude der Pagode wohnen musste. Plötzlich wollte ich wissen wie sein Wohnhaus aussehen würde. Bounthanome brauchte ich nur zu fragen, es war ihm nicht wichtig wohin wir fuhren. Ihm war alles recht. 
Auf den roten Lehmstraßen wirbelten wir Staub auf, eine lange Fahne zogen wir hinter uns her, in den Dörfern fuhr ich langsamer. Die Dächer nahe der Straße waren mit einer dicken Schicht roten Sandes bedeckt. Alles Grün nahe der Straße war nicht zu sehen, schwer lag der Staub auf allem.
So fuhren wir die 25 Kilometer und ich fand den Tempel auf Anhieb wieder. Niemand kam, nur drei Affen die an Bäume gebunden waren, schauten zu uns herüber und nahmen dann ihr wildes Spiel wieder auf. So besuchten wir die Ruine des alten Tempels. Drei Aussenwände haben der Zeit getrotzt, durch die Fensterhöhlen Gestrüp und junge Bäume, schon ist alles so dicht zugewachsen, dass der Himmel nur in kleinen Mosaiken zu sehen ist. Zwischen den Innenwänden hat sich ein Baum 10 Meter zur Sonne gestreckt. 
Wieder zurück auf dem Weg werfen wir auch einen Blick in die neue Pagode. Der Sockel wartet darauf, dass eine Buddhastaue auf ihm Platz nimmt, so wie er da steht, wird er noch lange warten müssen. Alles ist im Rohzustand. Der riesige Fußabdruck Buddhas im Fußboden, mit Tiersymbolen und Schriftzeichen verziert. Die Zehen mit Spiralen verziert, die mich immer an Fingerabdrücke denken lassen. 
Am Ende des Weges ein Fischteich. Es ist merkwürdig still, keine Grillen, kein Vogel, als sei es hier in der Sonne selbst den unermütlichsten zu heiß. 
Auch uns zieht es wieder unter den Schatten der Bäume. Aus dem Dickicht tritt der alte Mönch hervor, seine sehnigen Arme tragen ein Bündel junger Stämme. Hinter ihm drei junge Novizen ebenfalls beladen mit Holz. Er begrüßt uns freundlich und fragt Bounthanome aus welchem Tempel er kommt. Die Last die er trägt scheint er dabei nicht zu spüren. Seine Brille ist für sein Gesicht viel zu groß und trotz der Hitze trägt er eine Wollmütze. Er bittet uns, vor sein Wohnhaus. Das wir uns noch ein wenig umsehen wollen, scheint ihn zu befriedigen. Er weißt uns auf die Ruine hin, als er hört das wir schon dort waren nickt er. 
Vor seinem Wohnhaus sitzen drei Novizen, seine Schüler. Der Ältere von ihnen schaut mürrisch und beinahe böse zu mir herüber. Den Grund werde ich nicht herausfinden.
Die anderen sind neugierig und beobachten mich unauffällig, wie sie glauben.
Über die Ruine im Dickicht erfahre ich, dass ungewöhnlich viele Mönche, die bis 1976 dort lebten, plötzlich gestorben waren und die Mönche die überlebt hatten, haben die Pagode verlassen und sind nie wieder dort hin zurück gekommen. Auf meine Frage, ob er denn keine Angst habe lacht er. Ich sage das er sehr stark sein müsse, da er sich nicht fürchtet. Nein, sagt er etwas ernster, er kennt sich nur aus, mit Kräutern und traditioneller Medizin. Und Bannsprüchen, füge ich in Gedanken hinzu. 
Seit sechs Jahren ist er Mönch und lebt hier. In diesem Jahr hat er zum ersten Mal auch Schüler. Sie sind ihm eine große Hilfe.
Vielleicht ist der Besitzer des zornigen Blickes gegen seinen Willen hier.
Dieser Gedanke huscht ungerufen durch meinen Kopf.

Im nächsten Dorf kaufe ich noch Reisstroh. Das Reisstroh ist um einen 1 Meter 30 langen und schlanken Ast geschlungen. Mehrer übereinander geben ein sehr dichtes Dach. Die Leute lachen, als ich auf ihre Frage wie viel ich kaufen will „100.“, sage. Sie zeigen mir einen Holzwagen und wie hoch der mit Hundert beladen wäre. Ich verstehe sofort und auch ich lache über die Einfalt dieser „Falang“. 40 sind es, die die Männer mir auf den Dachgepäckträger laden. Unser seltsam gekröntes Auto erregt große Aufmerksamkeit auf dem Weg zurück nach Vientiane. Man sieht den Menschen förmlich ins Gesicht geschrieben, die brennende Frage: „Was eine Ausländerin mit diesen Reistrohwedeln will.“, dass nahe liegenste  kommt ihnen nicht in den Sinn.

Bounthanome sagt unterwegs, das er sehr froh ist, hier mit mir zu sein. Er habe es im Wat nicht ausgehalten, obwohl heute ein besonderes Fest ist und viele Menschen in den Tempel kommen. Im Wat hat er dauernd an seinen Bruder denken müssen.
Mehr sagt er nicht über den Tod seines 15 jährigen Bruders, den ganzen Tag nicht.

Vientiane, Mittwoch
den 26. Februar 2003 

Jetzt um 21 Uhr 30, zeigt das Thermometer immer noch 28,8 Grad an.
Trotzdem kommt es mir angenehm kühl vor, hier auf der Terasse. Das Haus hat sich in der Hitze des Tages aufgeladen und ist am Abend immer um zwei oder drei Grad wärmer. Der Unterschied ist spürbar auf der Haut.
Schon zirpen die Grillen. Gegenüber sitzt Kamhu mit ihrer Familie vor dem Fernseher, der Ton ist gedämpft. Die Grillen alleine wären mir lieber. Schön wäre es, wenn heute abend wieder ein Freund meines Nachtwächters vor dem Tor Gitarre spielen würde.
Kamhu und ihre Familie hat wieder einen kleinen Laden eröffnet. Sie Grillen Fleisch auf der Straße und verkaufen Bier und Pepsi, unter der Bambushütte. Wenn die Mädchen der Näherei um 18 Uhr ihre Pause machen, dann kommen sie den Weg herauf und schwatzen mit Kamhu und ihren Schwestern. Wenn ich am Abend aus Vientiane komme und die Dunkelheit alles umfängt, dann beleuchten die Scheinwerfer kurz die frisch verliebten Paare, die sich in der Dunkelheit an die Mauern lehnen um miteinander zu reden. Wie ertappt schauen sie verlegen weg. Ich muss jedes Mal lächeln. Der laotische Frühling.

Vientiane, Mittwoch
den 5. März 2003 

Frühstück in der „Scandinavian Bakery". Ich war schon lange nicht mehr hier. In den ersten Jahren kam ich öfter her und habe in der oberen Etage gesessen, auf den Nam Phu Platz hinuntergeschaut und das lebendige Treiben dort beobachtet, manche Nachricht über CNN aufgeschnappt, die aus dem Fernseher kam, der von der Decke herabhängt. Manchmal lief MTV, Musik und Videoclips verbreiteten sich im Raum. Die Fernbedienung lag für jeden sichtbar unter dem Fernseher, wer wollte und die anderen einverstanden waren, stellte um. Immer war ein angenehmes Miteinander. Der Fernseher ist immer noch oben, ich kann ihn schwach hier unten, von meinem Platz aus hören. 
Heute sitze ich lieber hier unten, nicht an den Tischen draußen, ich genieße den Luxus klimatisierter Luft, den ich mir zu Hause nur an selten, an besonders heißen Tagen, leiste. Vor mir auf dem Tisch liegt die vier Tage alte Ausgabe der Zeit und ich freue mich auf die Lektüre. Kaffeehaus, Zeitung lesen und Menschen betrachten.
In der Scandinavian Bakery gibt es die einzigen Brötchen in ganz Vientiane, Crousongs.
Von meinem Platz aus sehe ich auch die Pinwand, an der Autos verkauft werden, dass Kinoprogramm der deutschen Botschaft  hängt dort ebenso, wie die vielen Informationen für Touristen

Vientiane, Dienstag den
11. März 2003

Ein Novize sucht die Weite im Himmel über Vientiane zu finden. Sein Weg führte ihn hinauf, auf die große Stupa, dem That Luang. Mehrfach zerstört, glänzt es wieder in gold. In der Zeit, die genau zwischen Tag und Nacht liegt, wirkt das Gold farblos und grau. Das menschliche Bemühen, Geschichte zu konservieren und immer wieder neu zu bauen, rührt mich immer wieder, in seiner Vergeblichkeit. Nun steht es wieder, schon viele Jahre und ich hoffe die nächste Zerstörung - einzig der Zahn der Zeit.
Was ich aber immer wieder wissen möchte, so oft ich dieses Bild betrachte, was mag er denken, der Mönch, so hoch da oben? Ob er einfach Heimweh hat? Viele der jungen Mönche die nach Vientiane kommen, haben ihre Dörfer in der Provinz verlassen, oft für vier Jahre, wenige für immer. Sie sind zum ersten Mal in ihrem Leben, viele Kilometer entfernt ihres Dorfes und das in einem Land, in dem die Kilometer noch eine lange Entfernung darstellen. Wirkliche 1.000 Schritte sind. Die Staßen sind oft schlecht und der Reisende muß sich mit Geschwindigkeiten zufrieden geben, die wir längst vergessen haben. 

Vientiane, Mittwoch
den 12. März 2003 

Die Zikaden sind wieder gekommen, noch verbindet ihr betäubendes Zirpen sich nicht mit der Hitze und macht sie noch eine Spur unerträglicher.  Der Abend ist, einige Minuten lang, durchdrungen mit den Vielstimmigen. Ein Geräusch das die Trommelfelle vibrieren lässt. Jedoch so schlagartig wie sie begonnen haben, verstummen alle auf einmal. Bald darauf erhebt sich das Zirpen erneut. Alle Mangobäume im Garten scheinen dicht bevölkert von diesen kleinen unscheinbaren Zikaden, denen eine mächtige Stimme innewohnt. Angestrengt sehr ich von Blatt zu Blatt, die eingefärbt sind, mit dem frischen grün des noch jungen Blattes.
Kein einziges Insekt ist zu erkennen.
Dem Gesang nach, der sie alle zu einer mächtigen Geräuschkulisse vereint, die genau so real wie eine Kulissenwand ist, müssen Hunderte von ihnen an diesem Gesang beteiligt sein.

Vientiane, Donnerstag
den 13. März 2003 

Im Blick des Polizisten sehe ich meine Vermutung bestätigt. Ich komme tatsächlich aus einer Einbahnstraße, nur habe ich die falsche Richtung gewählt. Bevor ich abgebogen bin habe ich ein entsprechendes Hinweisschild gesucht, es gibt sie immer häufiger, doch ich konnte in der belebten Strasse alles sehen, nur kein Schild.
Die Papiere meines Autos seien leider in einer anderen Tasche und mein Führerschein, der wird gerade neu gemacht, weil ich ihn verloren habe. Tatsächlich ist er zusammen mit meinem Portmonee verschwunden, dass ich in Udon Thani (Thailand), an einer Toilettentür hängen ließ und er war seit 1 ½  Jahren abgelaufen. Wir halten uns bei diesen Dingen nicht länger auf, weiß er doch wie ich um den langen Weg den ein Papier nehmen muss, bis es fertig ausgestellt und gestempelt ist. 
Ich sei eine Einbahnstrasse gefahren. 
Ja, das habe ich auch gedacht, aber da war kein Schild und so fuhr ich weiter. 
Er schätzt mich ein und beobachtet mich genau, als er wiederholt, dass es ein Schild gibt.
Ich kann mir gerade gut vorstellen, dass er dieses Spiel schon oft gespielt hat, vor allem mit Ausländern. Doch ich weiß genau, da war kein Schild und lächle.
Plötzlich habe ich eine Idee, ich bitte ihn einzusteigen und mit das Schild zu zeigen.
Er lacht und geht tatsächlich um das Auto herum und setzt sich neben mich. Ich lache ihn an und fahre los. In dieser Gegend gibt es eine Menge Einbahnstrassen, die meisten beschildert, aber meine nicht, da bin ich sicher. So wird unsere gemeinsame Fahrt zu einer kleinen Stadtrundfahrt. Manche schauen neugierig zu mir und dem jungen Polizisten herein. Sie lächeln als ob sie die Geschichte und deren Ausgang kennen, ich bin die einzige die ihn nicht kennt, den Ausgang. Denn da ist tatsächlich ein Schild, auf der rechten Seite, mitten im Bürgersteig, 10 Meter bevor man links abbiegt, was dieses Schild eindeutig verbietet. Es wird auch nicht all zu sehr von den Marktständen und Tuk-Tuks verdeckt, wenn man weiß das es an dieser Stelle steht, ist es wirklich nicht zu übersehen. 
Ich fahre ihn zurück zu seinem Kollegen und dem gemeinsamen Moped, dass seinem älteren Kollegen gehört. Ich erfahre so dies und das und als ich anhalte frage ich ihn wie viel er möchte, 30.000 Kip. Lachend sage ich 15.000 Kip und handele wie auf dem Markt. Natürlich hätte er lieber die 30.000 Kip aber das ist selbst für Falang`s zuviel, wir wissen das beide. Er nimmt seine Dienstmütze ab und schiebt das Geld unter das Schweißband und setzt sie wieder auf. Als er aussteigt wünschen wir uns gegenseitig einen schönen Tag. Eine sehr angenehme Stadtrundfahrt, nach sechs Jahren in Laos überrascht mich dieses Land und seine Menschen immer noch, was für ein unglaublicher Reichtum.

Vientiane, Freitag 
den 14. März 2003 

Kuh Bah Bounthanome sitzt auf der Terrasse, ich blicke mich auf unserem Tisch um und stelle fest das ich ein gewohntes Bild erkenne, dass ich noch nicht als solches wahrgenommen hatte. Zu Bounthanom´s besuchen gehört es inzwischen, dass sich der runde Tisch, an dem wir sitzen und an dem auch ein großer Teil des Tagebuches entsteht, nach und nach mit Büchern füllt. Da ist als erstes Buch immer das englisch/laotische Wörterbuch. Ein kleines Kästchen mit weißen Karteikarten, dass ich ihm vor einer Weile geschenkt habe. Bounthanome´s Heft, in dem sich neben Seiten die angefüllt sind mit ordentlichen laotischen Schriftzeichen, ab und an ein englischer Text in Druckbuchstaben, auch wenige Telefonnummern. Drei E-Mail Adressen, von Ausländern die er kennen gelernt hat, eine davon ist die von mir. Die anderen beiden gehören Touristen, die Bounthanome am That Luang angesprochen hat. Er weiß inzwischen wie wichtig beim Lernen einer Sprache auch das Sprechen ist. 
In Thailand habe ich vor wenigen Tagen einige Bücher entdeckt. Romane, deren Texte dem unterschiedlichen Sprachniveau angepasst sind. Leider gab es keines für  Anfänger.
Die Auswahl war auch nicht so gut, aber ich war dennoch froh überhaupt etwas derartiges gefunden zu haben. Ich entschiede mich für Jumanji, dass Buch zum Film, vor allem deshalb weil ich den Film zu Hause habe, in englisch mit Thai-Untertitteln.
Thailändisch und Laotisch sind sehr nahe Verwandte. 
Bounthanome freut sich über das dünne Buch und schaut sich die Bilder aus dem Film an.
Wir lesen den ersten Abschnitt, den Prolog zum Film, was vor der Geschichte geschah.
Ich schreibe je ein unbekanntes Wort auf ein Karteikärtchen und Bounthanome das Laotische auf die Rückseite, nach und nach erschließt sich die Bedeutung der einzelnen Sätze und er bringt den Text wie ein Puzzel zusammen. Seine Freude am wachsen des Verstehens zu sehen erinnert mich an die Freude eines Kindes. In diesen Momenten kann ich Bounthanome als den jungen Mann sehen, der unter der Mönchrobe steckt.
Am Ende ist er sichtlich müde. Gemeinsam gehen wir in den Salon, und schauen uns die ersten 20 Minuten des Filmes Jumanji an. 
 

Vientiane 18. bis 21. März 2003 

In diesen Tagen ruft mich Bounthanome jeden Tag an, immer zur gleichen Zeit. Am dritten Tag glaube ich das er in diesen Gesprächen so etwas wie einen Glücksbringer sieht.
Diese Tage sind sehr wichtige Tage für ihn. Er schreibt an seinem Examen.
Jeden Nachmittag geht er in die große Schule der Mönche, die sich auf dem Gelände des Wat Sokpaluang befindet. Unter hohen Bäumen geht er hindurch, mit 100 anderen Mönchen die die gleichen Prüfungen ablegen wie er.
Es ist sein viertes Jahr.
Zweimal hole ich ihn ab.
Am letzten Tag frage ich ihn, ob es ihm erlaubt ist in ein Kaffeehaus zu gehen. Zunächst versteht er die Frage nicht, weniger wegen der Worte, als dem Sinn der Frage. Es ist ihm nicht klar, dass ich nicht weiß was ihm erlaubt ist und was nicht.
Er freut sich und ist sehr gespannt.
So kommt es, dass ich mit einem Mönch an einem kleinen Tisch in der „Healthy and Fresh Bakery“ sitze. Seine Anspannung schwindet rasch, als er die freundliche Stimmung um sich spürt. 
Er sitzt ja gewissermaßen als Schaf unter Wölfen. 
Da ihm das Essen nach 12 Uhr nicht mehr erlaubt ist, bestelle ich ihm einen Pfefferminztee, seinem Ersten und ein Zitronen-Soda.
 

Vientiane, Samstag
den 22. März 2003 

Riesige Flammen züngeln an diesem Nachmittag in den Himmel.  Einige Bereiche des Feuers können von den Feuerwehrmännern für 2 Stunden halbwegs unter Kontrolle gebracht werden, dann sind die wenigen Feuerwehrfahrzeuge leer, ohne Wasser. Eine halbe Stunde dauert es pro Fahrzeug um sie wieder mit Wasser zu füllen. Im Stadtteil Khualuang, im Zentrum Vientiane`s gibt es kein Wasserreservoir, dass Nächste ist zu weit weg.  Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind Menschen verzweifelt damit beschäftigt die Dächer nass zu halten, damit das Feuer nicht übergreifen kann.
Vielen der Familien ist es nicht gelungen irgendetwas aus ihren Häusern zu retten, so schnell griff das Feuer in diesen heißen Tagen um sich. Die Häuser stehen dicht nebeneinander, oft gibt es nicht einmal eine zentimeterbreite Lücke. 
Nun können sie nichts anderes mehr tun als zuzuschauen wir ihr gesamtes Gut vor ihren Augen vernichtet wird. 
Zwölf Häuser brennen bis auf verstreute Stützpfeiler, die wie Mahnmale aus dem Chaos herausragen, nieder. Die Menschen die noch am Vormittag in ihnen lebten, haben alles verloren.
 

Vientiane, Montag
den 24. März 2003 

Kuh Bah Bounthanome überrascht mich mit einem Geschenk. Aus einer großen Plastiktüte hebe ich ein laotisches Stelzenhaus, dass er mit der Hilfe eines Freundes für mich gebaut hat. Mitten auf dem Dach prangt eine gelbe Blüte.
Pann und Zuk haben köstlich gekocht, als ob sie seinen Besuch vorausgeahnt hätten. 
Das Essen kommt in meinen blauen Porzellanschüsseln auf den Tisch, die das ganze Jahr über so gut wie nie benutzt werden. 
Bounthanome zeigt mir einen Spickzettel, den er während des Examens benutzt hat. Er zeigt mir wo er ihn in den Stoffalten seines Gewandes versteckt hat und wie er ihn in unbeobachteten Momenten vorsichtig hervor gezogen hat. Ein einziger Lehrer hat 50 Mönche in einem Raum beaufsichtigt, es gab für 100 nur zwei Lehrer.
Ich frage  was passiert wäre, wenn er erwischt worden wäre. Er hätte die Schule verlassen müssen und wäre kein Mönch mehr. Diese Strafe erscheint mir ungewöhnlich hart, handelt es sich um vier Jahre Ausbildung und Studien, die für Bounthanome vergebens wären.
Mir schwindelt bei dem Risiko das er eingegangen ist. 

Nach vielen Stunden, auf dem Weg zu seinem Tempel sagt er mir, dass er manchmal kein Mönch mehr sein möchte. Er hat große Sehnsucht nach seiner Familie.
Ich weiß nicht was ich darauf sagen soll.
Am Sonntagmorgen, um 10 Uhr verspreche ich ihn abzuholen. Wir werden zusammen mit meiner Familie frühstücken. Ein langes ausgiebiges Sonntag – Frühstück.

Viel später fühle ich immer noch die schwere Traurigkeit in mir.

Vientiane, Freitag
den 4. April 2003 

Eine Krankheit, SARS genannt breitet sich aus. Fälle in Thailand, Vietnam und Cambodia, die meisten in China, wo die Krankheit möglicherweise ihren Ursprung hat. Von Todesfällen ist die Rede. Von schneller Ausbreitung. Doch was genau ist SARS?
Ein gefährlicher kleiner Feind?
Unwissenheit ist ein gefährlicher Nährboden für die Angst, ich spüre sie wachsen. 
Ob ich in der 16. Woche nach Bangkok fahre, mit meiner Familie, oder nicht, dass werde ich entscheiden wenn ich mehr über SARS weiß. Im Moment kommt mir der Gedanke verrückt vor, ausgerechnet nach Bangkok zu wollen, die große Drehscheibe aller Reisen, vor allem jenen in Asien. Dort kommt alles an.
 

Vientiane, Samstag
den 5. April 2003 

Dankbarkeit mit der Presse und den Informationen im Internet. Wie mit jeder Information die Angst vor SARS relativiert wird und auf ein erträgliches Maß reduziert wird. Was auf der Titelseite noch erschreckende Schlagzeile ist: 
OUTBREAK. What you need to know about Asia´s Killer Bug.
Auf dem Foto im Hintergrund Mutter mit Kind auf dem Arm, beide tragen Mundschutz. Zeigt sich im inneren der Far Estern Economic Review aufgeräumt und mit den ersten Fakten, die ich über SARS überhaupt zu lesen bekomme. Die Angst verschwindet nicht, aber sie wird kleiner, die Hilflosigkeit, die mich immer dann befällt, wenn ich den Feind nicht einschätzen kann, verschwindet ganz. Daraus leite ich nicht ab den Feind nun einschätzen zu können. Zur Stunde weiß man nicht einmal ob es ein Virus oder eine Bakterium ist, dass Mindeste ist also noch nicht bekannt. 
In China 305 Fälle von SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome), fünf Todesfälle.
In Vietnam 63 Fälle, davon zwei Todesfälle.
In Kanada 8 Fälle, davon zwei Todesfälle.
Die Zahlen für Kanada sind erschreckend, leider gibt die Statistik keine Auskunft über die Ursache.
Ein Todesfall in Bangkok.

Die französische Schule hat ihre Schulferien eine Woche vor verschoben und ihre Tore geschlossen. Ein Schüler, oder ein Erwachsener soll an SARS erkrankt sein.
 

Vientiane, Sonntag
den 6. April 2003 

Im Pool des australischen Clubs wimmelt es von fröhlichen Kindern, die im Wasser die Hitze vergessen toben, tauchen und Ringe werfen. Die meisten sprechen französisch. Ich mit Silvan mitten unter ihnen, ich hoffe sie sind alle gesund. Ich möchte keine übertriebenen Ängste haben, doch wann sind sie übertrieben und wann nicht? Im Planschbecken sind die Kinder auch Franzosen, nur kleiner.

Am Flughafen tragen die Angestellten Mundschutz, auch am Grenzübergang, Laos – Thailand. 
Die Gerüchte wachsen. Manche gehen soweit, dass die Französin, die an SARS erkrankt ist, bereits gestorben ist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Ich will keine halben Informationen mehr hören.
Am Abend suche im Internet. Überall ist die WHO mit dabei, auch hier in Laos, das beruhigt mich, wenn ich auch nicht genau weiß, was daran so beruhigend ist. Schließlich kann die Welt Gesundheitsorganisation auch nur zählen und Informationen zusammen stellen.
 

Vientiane, Montag 
den 7. April 2003 

Der erste Laote mit Mundschutz, den ich in diesen Tagen sehe. Er kommt wie jeden Monat um die Stromzähler abzulesen. Als er mit mir spricht schiebt er den Mundschutz unter das Kinn.
Ein Mundschutz sieht für mich gar nicht so bedrohlich aus, in der Trockenzeit ist er bei den MopedfahrerInnen sehr beliebt um die Atemwege vor dem Staub zu schützen. Oder in großen Städten wie Bangkok, vor den Abgasen der tausend Fahrzeuge aller Art.

Kuh Bah Bounthanome war heute Nachmittag mit einem Mönch hier, der sein Freund ist. Beide leben sie im Wat Phon Sei, gegenüber des DED Büros Laos. Seltsam, erst jetzt fällt mir auf, dass ich die beiden Mönche nicht danach gefragt habe was sie über SARS wissen.

Am Abend eine Versammlung der VIS:
Wir sind heute abend zusammen gekommen um zu entscheiden ob die VIS (Vientiane Internationale Schule) dem Beispiel der französischen Schule folgen soll und eine Woche vor den Ferien zum laotischen Neuen Jahr schließen soll und was beinahe noch viel wichtiger ist, Informationen zusammen zutragen, die aus ersten Händen kommen und auf den Kern, oder besser noch Wahrheitsgehalt, reduziert sind. So liegen aktuelle Informationen aus CDC (amerikanisches Gesundheitsministerium) vor und die Botschafter tragen ihre gesammelten Informationen bei. 
Ob die Französin tatsächlich an SARS erkrankt ist, ist noch nicht bestätigt. Trotzdem wird Vientiane in der Bangkok Post mit einem Fall angegeben. 
Das die australische Klinik in Vientiane, Patienten mit Verdacht auf SARS, wieder nach Hause schickt ist leider wahr. 
Das Krankenhaus in Udon Thani (Thailand, ca. 80 km von Vientiane), behandelt Patienten aus Laos, dass gegenteilige Gerücht kann also entkräftet werden.
Niemand wagt zu fragen wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Thailand seine Grenzen schließt, im Falle vermehrten Auftretens von SARS in Laos.
Spekulationen sind ausgeschlossen und das ist auch gut so. 
21 von 163 Schülern sind zu Hause geblieben, oder wurden am Tor zur Schule nach Befragungen der Lehrer wieder nach Hause geschickt. 
Die Schule wird nicht geschlossen. Von einem auf den anderen Tag müssen die Kinder einen Zettel mit zur Schule bringen, in dem die Eltern unterschreiben, dass ihr Kind weder Fieber noch Husten hat. Kinder die den Zettel vergessen haben müssen wieder nach Hause. Am Tor werden die Kinder von Lehrern begrüßt und in Augenschein genommen. Keine Panik verbreiten und dennoch soviel Sicherheit durch Kontrolle wie möglich. Es ist nicht einfach die vielen Nationalitäten unter einen Hut zu bringen, denn jede Kultur reagiert auf  Gefahren nicht unbedingt gleich. 
Viele der laotischen Eltern haben kaum oder gar keine Informationen über SARS.
10% der Elternschaft ist zu diesem Meeting gekommen, wo sind die Anderen? Warum sind sie nicht hier? 
Der „Phon Tree“ wird aktiviert, ich rufe die Eltern der achten Klasse an. 
Drei Informationen habe ich für sie.
1. Die Schule geht normal weiter
2. Kinder die hohes Fieber haben (über 38 C.)
    und Husten, sollen zu Hause bleiben
3. In den „Phi Mei Ferien“* Keine hoch infizierten Gebiete besuchen
    China, Hong Kong;
     Vietnam;
     Singapore;
     Toronto

Ich bin froh, noch nicht entscheiden zu müssen, ob wir nach Bangkok fahren oder nicht.
Der Grat zwischen Panik und Leichtsinn ist so verflixt schmal.

* Phi Mai, Jahr Neues, laotisches Neujahr 2547

Vientiane, Dienstag
den 8. April 2003

SARS, die Angst ist immer noch da und die Frage ob wir nach Bangkok fahren sollen oder nicht, ist immer noch ohne Antwort. Viele die über Phi Mai nach Bangkok fahren wollten, habe diese Reise gestrichen und bleiben in Vientiane. Reisen innerhalb von Laos.
Um 11 Uhr wurde das Wasser abgestellt. Arbeiten, doch welcher Art, niemand konnte mir diese Frage beantworten. Kamhu und ihre Familie haben kein Wasser. Wir haben kein Wasser und auch die VIS (Vientiane International School) hat kein Wasser. Bei Temperaturen um 38 Grad ist das kein Spaß.
Ich habe mit drei Litern Trinkwasser geduscht. Das Trinkwasser, mit dem ich auch koche, wird in 20 Liter Flaschen ins Haus geliefert. Mit wie wenig man aus kommen kann. Dennoch, mehrmals am Tag drehe ich den Hahn auf, weil ich mir die Hände waschen will, protestierendes Zischen ist die Antwort. Mein Kurzzeitgedächtnis mag sich nicht damit abfinden, dass heute Gewohnheiten geändert werden müssen.

Nachts um 1 Uhr ist das Wasser wieder da. Nach 14 Stunden wird die braune Brühe, die  aus dem Hahn zischt, freudig begrüßt.
 

Vientiane, Donnerstag
den 10. April 2003 

Gegenüber des DED-Büros parke ich vor den Mauern des Wat Pohn Sei. Wie ich erwartet habe steht Bounthanom nicht vor der weißen Mauer, in der gleißenden Nachmittagshitze, mit einem aufgespannten schwarzen Regenschirm in der Hand.
Unter dem ausladenden Bodhibaum, im dunklen Schatten nach der hellen Sonne, kommt er mir entgegen. Strahlend! Wir haben ein gemeinsames Geheimnis: Heute ist  sein Geburtstag. An einem Montag im Jahre 1978 wurde er geboren.
In der Pagode wissen nur wenige der Mönche und Novizen das er heute Geburtstag hat. Den Geburtstag als besonderen Tag zu feiern kommt nicht aus Laos, es ist ein importierter, oder dagelassener Brauch, den vor allem die Jüngeren unter den Laoten aufgenommen haben. Zehn Jahre vor Bounthanoms Geburt war es nicht einmal allgemein üblich den Geburtstag zu notieren.
Damit Bounthanome seinen Geburtstagskuchen überhaupt essen kann, hole ich ihn zu mir. Den Mönchen ist es nur zwei mal am Tag erlaubt zu essen. Am Morgen und am Vormittag, bis etwa 13 Uhr. Hinter meinen Mauern kann er essen und er überrascht mich, in dem er sich gleich zwei große Stücke auf seinen Teller lädt. Er lacht wie ein großer Junge, zu dem er wieder geworden ist.
Eine Überraschung ist mir perfekt gelungen und ich weide mich an seinem Unglauben, der schnell ungetrübter Freude weicht. Post aus Deutschland. Drei Postkarten auf denen tatsächlich sein Name steht, die für ihn sind. 
Nach meiner Bangkokreise werden in meinem Postfach noch zwei weitere Postkarten auf ihn warten, doch das wissen wir an diesem Tag noch nicht und ist auch völlig unerheblich .für seinen heutigen Ehren-Tag.
Immer wieder lässt er mich erklären, wie ich meine Freunde und Bekannten dazu brachte ihm zu schreiben. Eine Geschichte deren glücklichen Ausgang er in seinen Händen hält.
Diese Postkarten sind für ihn das schönste Geschenk an diesem Tag, auch wenn er nicht alles versteht, was dort geschrieben steht. Sein Englisch ist noch ganz am Anfang und hinzu kommt, dass er Schreibschrift kaum zu sehen bekommt und daher Schwierigkeiten beim Lesen hat. 
Er wird sie sich von einem Mönch, mit dem ihm eine Freundschaft der Gemeinsamkeit verbindet, übersetzen lassen.
Mich bittet er von Deutschland zu erzählen. Aus dem Regal holt er die Fotos von meinem letzten Winter in Berlin, aufgenommen 1995 und während ich erzähle betrachtet er die Fotos.

Wer Kuh Bah Bounthanom ebenfalls eine Postkarte aus seiner Stadt schreiben möchte, schreibt bitte an:
Ilona Duerkop, c/o Kuh Bah Bounthanom, P.O. Box 24 55, Vientiane, Laos P.D.R., Asien
 

Vientiane - Bangkok, Samstag
den 12. April 2003 

Nutzlandschaft zieht sich stundenlang an der Straße Nr. 2 nach Bangkok entlang. Jetzt in der Trockenzeit wirkt die Straße besonders eintönig, die Monotonie nicht durch das große Spektrum der Farbe Grün durchbrochen wird. Reisfelder liegen jetzt brach, über allem schwebt der Staub und in der Mittagshitze hat auch die Klimaanlage im Auto große Schwierigkeiten, die Temperatur auf ein erträgliches Maß abzukühlen.
Nur wenige große Städte liegen auf dem Weg, durchgeschnitten von der Schnellstraße, die sie gewaltsam teilt, als käme der Transport von Waren vor den Menschen, die ihr Leben riskieren, wenn sie die, 4 bis sechs spurigen Asphaltaterien überqueren wollen.
An den Ampeln schaut man neugierig zu uns herein, der Laos-Aufkleber an der Stoßstange und das Lenkrad auf der falschen Seite. Es wird viel gelächelt, dem Kleinkind das in der Mitte der hinteren Sitzbank, zwischen seinen Brüdern thront werden lustige Grimassen gezeigt. Man verdreht sich noch den Kopf, aber einen Kilometer nach der Ampel wirken diese kleinen Begegnungen wie nicht statt gefunden. Bleifuß, weiter bald die Hälfte der Strecke geschafft. 
Das Hörspiel „Die Säulen der Erde“, wird als nicht Jugendgerecht abgebrochen, mitten in einer Vergewaltigung, auf der dritten CD. Nächstes Mal wieder Sofis Welt!
Erst 200 Kilometer vor Bangkok ändert sich die Landschaft, wird bergiger und endlich gibt es auch grünes Leben. Bäume, Waldstücke. Nach sechs Stunden Eintönigkeit, richten wir uns alle wieder etwas auf in unseren Sitzen. 
Noch zwei, drei Stunden und wir sind im Ambassador Hotel in Bangkok. 
Wir werden nicht drauf zukriechen müssen, während der Hauptstoßzeit werden wir erst kurz vor Bangkok sein. Diesmal werden wir uns auch die Flyer leisten, die kostenpflichtigen Überfliegerstrassen, auf Stelzen, die aus der Luft wie breite Bänder durch Bangkok führen. So kommen wir bis an die Soi Nana, der Anfang der endlos langen Sukhumvit Road.
 

Bangkok, Dienstag
den 15. April 2003 

Wieder ist es da, dass Wort das sich immer einschleicht, wenn ich mich in den großen Einkaufszentren von Bangkok bewege: „Plastikmenschen“.
Hervorgerufen durch die Künstlichkeit der klimatisierten Welt, in der man leicht vergisst, dass es draußen Wetter gibt, in der Regenzeit heftige Güsse, jetzt nur Hitze. Hier entstand das konkrete Bild einer künstlichen Welt unter Glas, dass mich erschreckte, je weiter ich es mir ausmalte, vor zwei Jahren, vor einem Eisbecher bei Swensen´s, hinter den riesigen Fenstern im sechsten Stock des World Trade Center´s.
Bangkok im Stadtzentrum kommt dem immer näher. Schon gibt es erste Gebäudekomplexe, die durch einen Tunnel, im 4., 6., oder 8. Stock miteinander verbunden sind.
Vom Skytrain, führt ein offener Tunnel, neben der sechs spurigen Straße, vorbei am Le Meridien President Hotel, direkt in das Gaysorne Plaza. Ein Jahr lang, war das Gaysorne Plaza  wegen Renovierung geschlossen. Mitten in Bangkok, bei den Kosten und Ausfällen der Einnahen wird mir ganz schwindelig. 
Man tritt gerne ein und verschwindet ein wenig in der großzügigen Architektur, im Zentrum des Gebäudes, vom Fußboden bis zu der Decke kühle, angenehme Luft. 
Am Rand dieses offenen Ovals, wie Galerien, die sparsam eingerichteten Konsum Tempelchen. Viel Chrom, Marmor und punktuelle Beleuchtung.
Porsche, Pelikan (ein Sonderedition Federhalter, für 2.500 Dollar (ein Federhalter)) und die anderen ganz Großen, deren Namen für mich keine Bedeutung haben.
Hier ist das Wort Plastikmensch für eine Weile aus meinem Kopf verschwunden.
Erst gegenüber im World Trade Center ist es wieder da.
Eines Tages werde ich die Gründe für die Anwesenheit eines Wortes in meinem Kopf besser verstehen.
 

Pattaya - Bangkok, Mittwoch
den 16. April 2003 

Eine Stunde und 45 Minuten und ich stehe vor dem Meer und blicke auf die Inseln in Sichtweite. Meer und wirkliche Brandung, nach den Tagen in Bangkok kommt es mir zunächst unwirklich vor und mein Gedanken brauchen eine Weile bis sie wieder mit den Augen synchron zusammen arbeiten.
Hier auf diesem Teil des Strandes gehört Pattaya den Thais, kaum Paare mit unterschiedlicher Hautfarbe. Keine roten Ausländer neben graziösen Thailänderinnen.
Ich versinke für Stunden in einem Liegestuhl und sauge von Zeit zu Zeit, an  dem Strohhalm der aus einer Kokosnuss ragt.
In der Nacht hat mich Bangkok wieder.
 

Vientiane, Samstag
den 19. April 2003 

Verschwitzt und müde, haben wir es wieder einmal geschafft um 21 Uhr 48 an der Grenze Nong Khei, Thailand zu sein. 22 Uhr ist hier Schluss, dann geht es erst am Morgen wieder weiter nach Vientiane. But we made it.

Wieder zu Hause! Unsere drei Hunde, Leslie, Blacky und Lisa, werfen uns fast um vor Freude.
 

Vientiane, Freitag
den 25. April 2003 

Bounthanome sitzt im Schatten des Boddhibaumes und erwartet mich schon.
Zusammen wollen wir zum Wasserfall That Son fahren, die Straße Nr. 13 Richtung Norden. Unterwegs überholen wir zwei Touristen die sich in Vientiane Moped´s geliehen haben und ein wenig über das Land fahren, sie winken uns fröhlich zu.
Lange Zeit fahren wir hinter einem Lot Song Thäo (Fahrzeug zwei Bänke) her, in der kleinen offenen Fahrgast Kabine sitzen an die fünfzehn Kinder, dicht nebeneinander gedrängt, neugierig schauen die Kinder zu uns ins Auto, sie wundern sich ein wenig über das Bild, ein Mönch eine Ausländerin und ein kleines blondes Kind. Bounthanome greift nach der Kamera und lässt sie sich noch einmal erklären, dann hebt er das Objektiv zum Fenster und macht einige Bilder, die Kinder haben nun noch mehr Spaß und schneiden Grimassen.
Im letzten Dorf vor dem Wasserfall hat sich nichts verändern, dass eine geteerte Straße dorthin führt verdankt es einem tha - lao Projekt, sonst gäbe es nur die rote Sandpiste die alles am Straßenrand mit einer roter Staubschicht bedecken würde. 
Die letzten 5 Kilometer fahren wir auf einer solchen Sandpiste, die in der Trockenzeit bretthart ist, wie eine normale Straße. 
Wir fahren am Wasserfall vorbei, ich möchte ihm die Felsen zeigen, die in der Ebene liegen, nicht weit von hier. Riesige Felsen aus rotem Sandstein, an die Geländer und Leitern angebracht sind um sie leichter erklettern zu können, von den mehreren Metern hohen Felsrücken hat man einen herrlichen Ausblick in die Ebene, am Horizont erkennt man Vientiane, an der Staubwolke die sich über die Stadt wölbt, aber im täglichen Leben dort, kaum spürbar ist.
Die Straße dorthin führt über Felsen und der Sand dazwischen ist fort gespült von vielen Regenzeiten. Langsam kommen wir voran, denn alle 10 Meter muss der Weg neu gesucht werden, links herum, rechts herum, oder mitten durch, was bedeutet auf Felszücken zu fahren, die im Radabstand liegen. Es geht bergan und die Rinnen zwingen uns rauf und runter und wir schaukeln hin und her.
Einmal setzten wir hart auf, Bounthanome schaut erschrocken auf und nur ein Wort kommt über seine Lippen: „Brocken“, ich lache und beruhige ihn, wir sind nicht durchgebrochen. Doch auch ich habe den Knall noch im Ohr. Etwa einen halben Kilometer weiter geht nichts mehr, die Rinnen sind zu tief und keine im Radabstand. Ich weiß von früheren Touren (mit dem Moped) hier her, dass hinter der nächsten Kurve in Sichtweite, die Straße wieder eben wird und platt gewalzt wie eine Asphaltstraße, nur ab und an führt sie über Felsrücken, die sich jedoch kaum über die Straße erheben, ein Kinderspiel dort zu fahren. Nicht daran denken, es ist nicht das erste Mal, das vier, fünf Meter schlechte Straße, dass Ziel unerreichbar machen.
Es ist hieß, sonst würde ich vorschlagen die letzten 2 Kilometer zu laufen. Die Hitze brennt unerbittlich auf den Weg und hinter der Kurve liegt er ganz der Sonne ausgeliefert, kein Schatten, nur Büsche, kleine Bäumchen und ab und an eine Gruppe Bambus, zu weit von der Straße um Schatten zu spenden.
Ich wende in mehreren Zügen, zum Glück finde ich eine Stelle die es ermöglicht. Die Straße ist nur um weniges breiter als mein Auto. Bounthanome ist sehr still geworden er wartet auf den nächsten Schlag, der nicht kommt.

Zurück am Wasserfall „That Son“:
Wir haben den ganzen Platz für uns und parken unter Bäumen. Am Wochenende sind die Restaurants voll. Wasserfall weckt Erwartungen die dieser Platz nicht erfüllt. Das Wasser wurde gestaut und fällt nur zwei Meter eine Betonmauer herab, vor der sich wieder ein See bildet über den eine gebogene, schöne, weiße Brücke führt, die sich im Wasser wiederspiegelt. Unter den Bäumen kann man die Seele baumeln lassen. Drei junge Männer erfüllen das kleine Tal mit einem Lied. Bounthanome geht zu ihnen und bleibt länger weg, ich bin schon gespannt auf die kleine Geschichte, die er mir von ihnen bringen wird. 
Sie kommen alle drei aus Pakse und sie kennen auch Bounthanoms Heimatdorf. Wir freuen uns über diesen Zufall. 
Die drei jungen Männer ersetzten Bambusmatten an einer Hütte, durch die der Regen, den der Monsun bald bringen muss, pfeifen wird.

Wir spazieren unter den Bäumen und Bounthanome, den kleinen Silvan die meiste Zeit auf seinem Arm, führt mich durch einen Bambushain zu einer Höhle, die von Pilgern einem besonderen Mönch gewidmet wurde. Eigentlich ist es keine Höhle sondern nur ein Felsen, der über einen anderen hinausragt und so eine Überdachung schuf unter der die kleine Statue des Mönches und kleine Buddhastatuen, deren Proportionen auf anrührende Weise falsch sind, stehen. Frische Blütengaben zeugen davon das wir nicht die ersten Besucher dieses Tages sind.. 
Eine Bambusleiter lehnt an der Seite des großen Felsens, unter ihr eine tiefe Felsspalte. Boutnhanome, mit Silvan auf dem Arm klettert als erstes hinauf, einmal tritt er auf den Saum seiner Robe und ich sehe sie schon abrutschen, doch nichts geschieht. Oben haben wir einen kleinen Ausschnitt in das Tal. Alles flach, Reisfelder, hier und da vereinzelte Riesenbäume, grüne Inseln in einer Nutzlandschaft, die die Menschen hier seit Jahrhunderten auf gleiche Weise bearbeiten. 
Nach der Reisernte in der Regenzeit, werden die Felder abgebrannt und liegen brach bis zum Beginn der nächsten Regenzeit. So fällt unser Blicke auf eine Fläche die mich an Steppen in Afrika denken lässt und entfernt, an den Rand der Wüste.

Der Schweiß rinnt Bounthanome über das Gesicht und immer wieder wischt er ihn mit einem weißen Tuch ab, dass er beinahe schon ritualgleich aus seiner Umhängetasche holt.
Seine rost-rote Robe ist am Rücken dunkelbraun vor Nässe.
Es ist unglaublich heiß und die Luftfeuchte muss ebenfalls sehr hoch sein. 
Im Auto trinken wir unsere Wasserflaschen aus, dass Wasser ist lauwarm geworden und dennoch eine Erfrischung. Wasser, wie wichtig es ist!

Auf der Rückfahrt hören wir Loso, eine thailändische Rockband, die wir immer hören, wenn wir zusammen im Auto fahren.
Als unsere Freundschaft noch jünger war, habe ich Bounthanome erzählt das ich gerne Loso höre, bei seinem nächsten Besuch brachte er eine CD von Loso für mich mit.
 

Vientiane, Dienstag
den 29. April 2003 

Bounthanome hat einen Brief aus Schottland bekommen. Ich hole den Atlas hervor und zeige ihm wo Schottland liegt. Er stellt die Entfernung von Deutschland zu Schottland fest und dann die von Schottland nach Laos. Ich habe das Gefühl das die Welt für ihn sich zu weiten beginnt, dass ein persönlicher Bezug zu einem Land wichtig ist um zu wissen wo es liegt, wie groß es ist und welche Nachbarn dieses Land hat. So ist für ihn Deutschland das Land aus dem ich komme, Ruth die ihm schon zwei Mal geschrieben hat, Jürgen und Carsten, die ihm Postkarten schickten. 
Deutschland war für ihn ein Land auf der Landkarte. Nun weiß er Bonn, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart zu finden.
Ich bin stolz darauf, dass mein Laos Tagebuch diese Kontakte hergestellt hat.
(Post an Bounthanome, hier noch einmal die Adresse: Ilona Duerkop c/o Kuh Bah Bounthanome, P.O. Box 24 55, Vientiane, Laos P.D.R., Asien)

Vientiane, Sonntag
den 4. Mai 2003 

Der Bräutigam sitzt mitten im Zimmer auf einem Stuhl, auf ein langes Messer gestützt, dass wie ein Schwert in einer Bambusscheide steckt. Von seiner Schulter hängt eine Tasche herab, die aus einem bunten Stoff genäht ist. Er trägt nicht das traditionelle Beinkleid, sondern eine westliche schwarze Bundfaltenhose und ein weißes Hemd. Er sieht etwas verloren aus und seine Jugend erschreckt mich geradezu.
Ich erinnere mich noch gut an den Jungen, der nach der Schule die Holztreppe hoch rannte und wie angewurzelt im Türrahmen stehen blieb, weil dort eine deutsche Familie auf dem Fußboden saß und mit seinen Eltern sprach. Ich konnte ihn damals denken sehen und als der den Zusammenhang hergestellt hatte, begrüßte er uns freundlich. Sein Vater war für vier Jahre der Begleiter und Arbeitskollege meines Mannes.
Jetzt ist er 19 Jahre und dies ist sein Hochzeitstag.
Er wartet darauf, zum Haus der Braut gebracht zu werden. Vor dem Haus stehen schon drei Pick-ups bereit. Seine Mutter sitzt schon auf der Ladefläche, zusammen mit anderen Verwandten und Freunden, einen Regenschirm gegen die Sonne gerichtet. Bis alle richtig sortiert sind dauert es eine ganze Weile, dann setzt sich der kleine Konvoi in Bewegung.
Wir sollen in 15 Minuten folgen, noch verstehen wir nicht weshalb.
Die Meisten Gäste bleiben unter dem Schatten der Planen sitzen, hier geht die Party weiter ohne den Bräutigam, auch ohne Braut, die die Gäste heute nicht zu sehen bekommen.
Als wir die Hochzeitsgesellschaft erreichen, stehen die meisten in der Sonne, die erbarmungslos herab brennt, nur wenige haben Schatten unter dem Vordach eines Ladens gefunden. Die Fröhlichkeit ist jedoch ungetrübt, Trommeln werden geschlagen und der Lao-Lao (Reisschnaps) kreist schon langsam. Nun verstehen wir weshalb wir später kommen sollten, Thawon und seine Frau wollten uns die Sonne ersparen.
Ein Zeichen habe ich übersehen und der Zug setzt sich in Bewegung, biegt in eine kleine Sandstraße ein, die Frauen trillern und jauchzen, alle klatschen zum Rhythmus der Trommeln in die Hände. Vor dem Haus warten Frauen die uns alle mit einem Schluck Bier und Schnaps willkommen heißen. Auch sie trillern und juchzen und machen Scherze mit den Männern.
Ein Torbogen aus Palmwedeln den der Bräutigam mit seinen Eltern als erster durchschreitet. Im Haus sitzt die Braut neben ihrer Mutter auf Bambusmatten, die Beine angewinkelt und die Füße nach hinten, die Hände im Schoß, den Blick auf eines der beiden Basigestecke gerichtet, einen Kegel aus Bananbenblättern, in den gelbe Blüten gesteckt sind, die gekrönt von weißen Blüten, einen süßen Duft verbreiten. Darunter eine goldene Schale, auf der ein gesegnetes Hühnchen und Süßigkeiten liegen, sowie ein Korb mit Klebreis. An den Handgelenken der Braut weiße Baumwollfäden, an denen gerollte Geldscheine befestigt sind, auch Thai-Baht finden sich neben dem Kip.
Auf dem Fußboden vor den Basigestecken haben sich schon die Alten aus dem Dorf niedergelassen, rechts dir Frauen, links die Männer. Eine fröhlich aufgeregte Stimmung ist im Hauptraum des Hauses. Freunde der Braut und des Bräutigams sitzen etwas weiter weg und schwatzen miteinander, ohne das Geschehen aus den Augen zu lassen.
Nach dem der Bräutigam bedachtsam seine Bündel und sein Schwert zwischen die Basigestecke gelegt hat, lässt er sich neben der Braut nieder. Die Beiden sitzen nun eng beieinander und die Bitte um den Segen beginnt. 
Lange weiße Fäden die von den Basigestecken in die gefalteten Hände der Gläubigen, führen in drei der vier Himmelsrichtungen. Ein alter Mann spricht die Gebete und am Ende die Wünsche für das Brautpaar. An bestimmten Stellen der Gebete erheben alle ihre Stimmen und Reiskörner werden über die Köpfe geworfen und fallen prasselnd auf die Matten. 
Nach dem der Segen auf das Brautpaar herab gerufen wurde ist es an den Brauteltern und den Gästen ihre Wünsche dem Brautpaar auszusprechen. Der Vater des Bräutigams spricht seine Wünsche für die Braut seines Sohnes und bindet einen zehn Dollar-Schein um ihr Handgelenk, während er leise zu ihr spricht. Jeder hat den Schein bemerkt, doch man wirft sich nur verstohlen einen vielsagenden Blick zu.
Die Braut ist auf traditionelle Weise geschminckt. Das Rot der Lippen ist sehr stark und der Lidschatten blau, die Lidränder mit schwarzen Strichen betont, die Wangen mit Rouge, die Haut wirkt gebleicht. Ein wenig maskenhaft.  Ihr langes schwarzes Haar ist zu einem Kegel geformt und auf dem Kopf festgesteckt, eine goldene Spitze ist über den Haardutt gestülpt, an der goldene Anhänger bei jeder Kopfbewegung wippen. Goldene Ohrringe und goldene Ketten schmücken die Braut. 
Zwei rosa Kissen werden vor das Brautpaar abgelegt, die meisten der Gäste entfernen sich, die Eltern, Verwandte und Alte rücken ab und so sitzt das Brautpaar alleine, vor den gerüschten Kissen. Eine alte Frau spricht leise auf sie ein, während die Beiden ihre Stirn auf den Kissen ruhen, so dass ihre Gesichter nicht zu sehen sind. Dieser Teil der Zeremonie ist mir ein kleines Rätsel. Ich weiß nicht ob es eine Einführung in die Geheimnisse der Ehe ist, nehme es aber an. 
Die rosa Kissen werden wieder fortgetragen, die Braut erhebt sich um sich zum dritten Mal an diesem Tag umzuziehen. Die Bambustische mit verschiedenen Speisen in geblümten Schüsseln werden herein getragen und nun verlassen auch die Brauteltern und wir das Haus, nur die Alten bleiben zurück und sind schon mitten im Mahl.
Die übrigen 130 Gäste, vor dem Haus, an langen Tischen und unter ehemaligen Fallschirmen der amerikanischen Armee und bunten Plastikzelten auf Metallstelzen, müssen noch eine Weile auf den Beginn des Essens warten. Auf den Tischen steht schon alles bereit, Klebreis in Körben, Hochzeitsgulasch in Schüsseln aus blauem Porzellan, Nudeln auf Salatblättern, Bohnen, Bananenblüten, Laab (gehacktes Fleisch, mit Innereien, Minzblättern, scharf gewürzt) und kunstvoll aufgebauten Obstschalen. Die Band spielt auch schon und die großen Boxen verhindern in einem weiten Umfeld jeder Unterhaltung, dennoch versuchen viele es und schreien sich über den Tisch hinweg an, niemanden den das stört. Laoten haben andere Ohren, denke ich wie schon oft und sie verstehen einander trotz der lauten Musik. 
Sogar an Standventilatoren wurde gedacht, sie geben sich auch alle Mühe die Luft zu kühlen, doch die Winde die sie erzeugen sind nur kaum kühler.
Wir beschließen vor dem Essen zu fahren, was unhöflich ist. Silvan ist völlig durchnässt und zappelt auf meinem Arm, die Brauteltern sehen ein, dass Silvan nach Hause muss.

Am Torbogen vor dem Haus, hat sich das Brautpaar bereits aufgestellt. Die Braut ist umgezogen, dass Gewand vom traditionellen Schnitt des Hochzeitsgewandes, wie sie es vorher trug, nur in einer anderen Farbe. Ich hoffe das junge Paar hat auch etwas gegessen, unter einem schwarzen Sonnenschirm werden sie die nächste Stunde die eintreffenden Gäste begrüßen. Ein goldenes Tablett mit zwei goldenen Bechern werden sie den Gästen reichen, und sie bitten auf ihr Wohl zu trinken.
Neben ihnen steht ein großes Herz, mit einem Schlitz, hier werfen die kommenden Gäste ihre Einladungen hinein, zusammen mit einem Geldbetrag, den sie hinzugefügt haben.
 

Vientiane, Mittwoch
den 7. Mai 2003 

Kuh Bah Bounthanome hat mich gebeten ihn zum Busbahnhof zu fahren und hier sind wir nun. Zwei junge Männer kommen eilfertig angelaufen und fragen den jungen Mönch, welches seine Sachen sind und zu welchem Bus sie die zwei Kartons, fest verschnürt mit Plastikschnur, bringen dürfen. Die Diensteifrigkeit der beiden Männer ist für Bounthanome nichts ungewöhnliches und er erklärt ihnen wohin sie seine Sachen bringen dürfen. Der Bus nach Pakse ist der erste Bus, gleich in unserer Nähe. 
Bis zur Abfahrt seines Busses haben wir noch 30 Minuten Zeit und wir beschließen noch etwas gemeinsam zu trinken. Nahm Mak Nau (wörtlich: Wasser Frucht Zitrone) mit Eiswürfeln und Zucker. 
Noch im Auto habe ich Bounthanome gefragt ob es unhöflich wäre, wenn ich etwas essen würde, nicht wegen ihm, eher wegen den Menschen um uns herum die mein Essen als ungehörig einem Mönch gegenüber empfinden könnten.  Er selbst hat seit drei Stunden nichts mehr gegessen, erst am nächsten Morgen darf er wieder etwas essen.
Meine Nudelsuppe kommt zuerst. Die junge Frau in der Garküche macht alles allein, zwei ihrer Schwestern schlafen sitzend, die Arme auf dem Tisch bilden das Kissen für den Kopf, die ältere Schwester unterhält sich mit anderen Ladenbesitzerinnen.
Der Bus nach Pakse läst sein Mehrton-Horn mächtig schallen. Bounthanome verabschiedet sich, es tut ihm leid, dass ich nun alleine Essen muss. Ein Lächeln und schon besteigt er den Bus. Die Menschen im Bus beobachten uns neugierig, nicht ohne Wohlwollen, viele freundliche Gesichter schauen zu mir während ich Bounthanoms Rücken im die Treppe ersteigen sehe. Sein Platz direkt hinter dem Fahrer ist frei gelbieben, niemand hat es gewagt sich dort hinzu setzten und wenn es doch jemand aus unwissenheit getan hatte, wäre er gleich mehrstimmig gebeten worden wieder aufzu stehen.
Von seinem Platz winkt er mir noch kurz zu, dann setzt der Bus rückwärts und er entschwindet meinem Blick. Die Sehnsucht hat ihn nach Hause gerufen und ich bin froh das er sich entschlossen hat zu fahren.
Nun gelten die neugierigen Blicke mir allein und ich fühle sie wie ein Gewicht, dass nun schwerer geworden ist, bald verschwindet das Gefühl.
Endlich kommt auch der Nam Mak Nau, zu spät, leider. Ich bleibe noch etwas länger und trinke beide.
Ich stelle mir vor, wie Bounthanome morgen früh um 6 Uhr aus dem Bus steigt.
Jetzt ist es 13 Uhr 45.
 

Vientiane, Samstag
den 17. Mai 2003 
 

37 Grad, ich stehe am Stehpult und schreibe eine Postkarte nach Deutschland, an meinen Schulterblättern rieselt der Schweiß langsam nach unten, am Ende der Wirbelsäule vereinen sich vereinzelte Rinnsale zu einem Einzigen. Im Nacken die Haare sind nass.
Fliehen! – doch wohin?
In den australischen Club, die weißen Liegestühle zum Mekong ausgerichtet reitzen mich nicht sehr. Wasser, kühles Wasser, eintauchen, treiben lassen. Zu heiß um die Sachen zu packen, zu heiß um ins Auto zu steigen zu heiß .... aber wenn ich das ändern will und alles in mir ruft nach Erlösung, dann muss ich jetzt genau dies alles tun. 
Die letzte Prüfung ist es den Badeanzug über die nasse Haut zu bekommen. Dann endlich stehe ich unter freiem Himmel unter einer kühlen Dusche, Silvan auf dem Arm.
Anschließend setzte ich mich ins Planschbecken und passe auf Silvan auf, dem das Wasser bis über den Bauchnabel reicht und jede fröhliche Welle der anderen Kinder ihn noch von den Füßen heben kann. 
Ständig läuft neues Wasser zu, so ist das Planschbecken ein herrlich kühles Becken. 
Im großen Pool hat das Wasser eine Temperatur wie Badewasser.
Eine Stunde später, gegen 17 Uhr kommt eine der laotischen Familien, die langen, schmalen Felder zwischen australischem Club und Mekong mit Salat und Minze bepflanzt haben. Die Jüngsten liefern einen nicht ernst gemeinten Boxkampf, bei dem es auch darauf ankommt möglichst viel Staub aufzuwirbeln, von einem Feld das nicht bepflanzt ist. 
Eine Wasserpumpe pumpt das Wasser aus dem Mekong, in den Wasserschlauch, an dessen Ende ein Brauskopf angebracht ist. Das Gesicht der Frau, die die Felder wässert ist unter dem spitzen Reisstrohhut nicht zu sehen.
An einem Baum ist eine Neonröhre befestigt, die jetzt am hellen Tag noch fremder wirkt.
Dieser Felder wurden 1997, vielleicht auch früher, von genau hier fotografiert, das Bild ist in der Encarta 97 Enzyklopädie, zu sehen.
Der Fotograf hat sich von seinem Liegestuhl im Club erhoben, ist über den Streifen kurz gehaltenes Gras an die Mauer herangetreten, hat seine Kamera gespannt und abgedrückt. Laos, Gemüsebeete bei Vientiane. 
Nur ein Zufall hat verhindert das ich ihn nicht dabei beobachtet habe, denn 1997 war ich auch schon da. 
 

Vientiane, Sonntag
den 18. Mai 2003 

Bounthanome ruft am Morgen an. Er kommt einen Tag früher zurück als geplant.
Beinahe habe ich das Gefühl er sei gar nicht weg gewesen. 
An fast jedem Tag der Woche hat er angerufen, um mit mir zu plaudern, mir kurz zu berichten wo er gerade ist. 
 

Vientiane, Montag
den 19. Mai 2003 

Ich sitze noch beim Frühstück, als Kamla kommt. Sein dunkles Gesicht wirkt grau, seine Augen sind groß. Ich erschrecke mich sehr, ist das noch der selbe Mann, der gestern Abend mein Moped in die Küche geschoben hat? Mir den Schlüssel neben das Laptop gelegt hat, von dem ich aufsah und kurz mit ihm über die Hitze sprach und wie schlecht mal schlafen könne, und die Träume, wenn man träumt, seien schwer, ergänzte Kamla.
In kurzen Sätzen, die er immer wiederholt erzählt er mir, dass seine Frau krank sei und Fieber habe. Sie haben Angst, das das Baby in ihrem Bauch eine Erkältung bekommen könnte. Seine Frau ist im dritten Monat Schwanger. 
Mir fällt der Entwicklungshelfer ein, der glaubte hohes Fieber zu haben, doch statt dessen war es nur die Hitze in seinem Schlafzimmer.
Kamlas Sorge die aus allem spricht was er ist, hält mich davon ab, dass zu erzählen.
Kamla ist ein einfacher Mann, manche halten ihn für dumm, doch hier steht er und seine Angst ist echt. Das Einzige was ihn und seine Frau beruhigen kann ist ein Besuch beim Arzt, auch wenn die Ärzte manchmal seltsame Dinge tun, die jedem westlichen Mediziner die Haare zu Berge stehen lassen würden.
So können sie auch oft helfen und für die Laoten ist das Worte eines Mediziners Gesetz und ein Arzt hat ein hohes Ansehen. 
Kamla braucht mich nicht zu bitten, ich gebe ihm 1.000.- Baht, die er mir nach und nach zurückzahlen kann.
Zwei Tage soll er nicht zur Arbeit kommen und bei seiner Frau bleiben.

In der Zwischenzeit erkundige ich mich nach der Adresse des Gynäkologen der in Frankreich studiert hat und am Abend, wenn er aus dem Krankenhaus kommt, Patientinnen in seiner privaten Praxis empfängt. 

16 Uhr, pünktlich vor dem Wat Pohn Sei, steige ich aus, um nach Bounthanome zu suchen, der mir aber schon entgegen kommt, strahlend. Ich nehme die Sonnenbrille ab, damit wir einander in die Augen schauen können. Er sieht gut aus, ich mache Scherze drüber und sage ihm das er dunkler geworden ist, er lacht.
Im Auto begrüßt er Silvan, der mit seinem Kindersitz in der Mitte der Rückbank thront. Innerlich lache ich über dieses schöne Wiedersehen, Bounthanome verbreitet eine Atmosphäre, als sei er wochenlang fort gewesen und ich spiele gerne mit. 
Zur Feier des Tages lade ich ihn zum Healthy and frech ein, ein Café in dem es köstliche Kuchen, Capuccino und allerlei andere Köstlichkeiten gibt.
Während der Fahrt holt er aus seiner Tasche einen Kau Njau Krob (Behälter für den gedämpften, laotischen Klebreis) hervor, in großen eingearbeiteten Buchstaben steht dort: „Nome for Lona“, ich bin gerührt und zeige meine Freude.
Im Café erzählt er mir, dass es eine Woche gedauert hat, diese drei Worte zu schreiben.
Seine Mutter lässt mich grüßen. Sie hat einen Tzinn (traditioneller laotischer Rock) für mich mitgegeben, den Bounthanome jedoch im Wat vergessen hat.

Heute abend zeigen wir in der deutschen Botschaft den Fim „Contact“ mit Jodie Foster.
 

Vientiane, Mittwoch
den 21. Mai 2003 

Kamlas Frau hat kein Blut, so erzählt er es mir. Sie hat eine Spritze bekommen, ansonsten keine weiteren Medikamente.
Sie möchte nach Hause, zurück nach Salavan zu der Schwester ihres Mannes.
Kamla bittet mich um seinen Lohn. Ich bitte ihn seiner Frau nicht alles zu geben, da er ja auch noch essen müsse. 
In Vientiane sind die besten Krankenhäuser die Laos zu bieten hat, doch Kamlas Frau will in die Provinz. Zu den Verwandten ihres Mannes, ich kann ihren Wunsch verstehen, und würde sie dennoch gerne hier in Vientiane wissen.
 

Vientiane, Freitag
den 23. Mai 2003 

La  sitzt mit drei anderen Jungs unter den alten Alleebäumen, sie alle sehen müde aus, ihre Füße sind schwarz und schuhlos.
La ist eines der bettelnden Kinder aus der Provinz Savannakhet. 
Jetzt am Ende der Trockenzeit ist es für seine Familie besonders hart, die Vorräte sind aufgebraucht und auf den Feldern kann ohne Wasser nichts wachsen. La ist das zweitälteste Kind von Fünf. Wenn er genug Geld zusammen hat, wird er wieder in sein Dorf zurück kehren, wenn er Glück hat, dann nimmt ihn auch diesmal ein Busfahrer mit, ohne das er den Preis für ein Ticket zahlen muss.
Der Monsun hat begonnen und seine Familie wird bald mit dem Pflanzen des Reis beginnen, da wird auch seine Arbeitskraft wieder gebraucht.
Nur ein Jahr hat La die Schule besuchen können, zu Hause wurde seine Hilfe gebraucht, auf dem Feld und für die kleineren Geschwister.
Während er in Vientiane bettelt, darf er im Wat (Pagode/Tempel) im Hoh Tchä übernachten, dem Gebäude in dem die Mönche ihre beiden Mahlzeiten einnehmen.
In einer Woche will er wieder in sein Dorf zurück, doch er fürchtet, dass er auch im nächsten Jahr wieder nach Vientiane kommen wird.

Vientiane, Sonntag 
den 1. Juni 2003 

Tag des Baumes in ganz Laos. Überall werden heute Bäume gepflanzt, vom Farmer bis zum Präsidenten. In Vientiane werden überwiegend blühende Bäume gepflanzt in den Provinzen Obst- und Teakbäume. 
Die Meisten werden kaum zwei Monate alt. Vor allem die Ausländer die seit einigen Jahren in Laos leben, scherzen, dass die meisten der Bäumchen in Löchern vom Vorjahr gepflanzt werden. Neue Bäume in alten Löchern.
So sehr jeder Laote den Schatten eines Baumes zu schätzen weiß, so wenig versteht er von den Jahren die ein Baum zum Wachstum braucht. Eine Haltung die vielleicht aus dem Überfluss zu erklären ist, der aber längst nicht mehr existiert. 
Im ersten Jahr passierte es mir oft, auf meinen Motorradtouren, dass ich anhielt wo es mir gerade einfiel immer in der prallen Sonne, bis mir irgendwann bewusst wurde, dass ein Laote bis zum nächsten Baum am Straßenrand fährt und dort im Schatten eine kühlere Pause einlegt. Auch heute nach sechs Jahren macht mich diese kleine Beobachtung meiner Dummheit, schmunzeln.
Der Widerspruch ist es, an dem ich mich reibe. 
 

Vientiane, Montag
den 16. Juni 2003 

Bounthanome hat sich bei einem Unfall unter dem Oberarm eine üble Schnittwunde zugezogen. Mit zehr Stichen musste er im Maho Sot Krankenhaus genäht werden.
Während ich auf ihn warte beobachte ich das Kommen und Gehen durch die geöffnete Tür. Direkt vor dem Eingang halten Tuc-Tuc`s. Auf der schmalen Sitzbank liegt ein junger Mann, seine Augen sind geschlossen und seine Haut schimmert gelb. Eine Krankenschwester schiebt mit einem Rollstuhl los, vorsichtig heben Verwandte den jungen Mann aus dem Tuc-Tuc und setzen ihn in den Rollstuhl. 
Neben dem Eingang sitzen drei Krankenschwestern und rollen Watte zu kleinen Tupfern, die sie in einen Pappkarton werfen, in dem sich einst Gipsbinden befunden haben. Sie schwatzen und lachen, während ihre Finger unermüdlich eine Routinearbeit ausführen, die keinerlei Aufmerksamkeit mehr bedarf. Als der Karton voll ist stehen sie auf. Der offene Karton bleibt auf dem Tisch stehen. Eine alte Frau die nicht mehr stehen kann setzt sich an den Tisch und wartet, vielleicht auf einen Angehörigen. Zwei junge Männer setzen sich dazu, einer von ihnen spricht leise in sein Handy.
Bounthanome ist noch immer in Behandlung und ist noch nicht aus einem der Behandlungsräume zurück.
Es dauert nach weitere 15 Minuten bis er etwas blass aus dem Raum kommt, in dem ein angerostetes Bettgestalt kurz zu erkennen ist. Seine Robe bedeckt den Arm, den er steif hält um ihn möglichst nicht zu bewegen. Ich sehe seinem Gesicht an, dass die Reinigung der Wunde schmerzhaft war und immer noch schmerzt.
Eine junge Krankenschwester nimmt den Pappkarton mit den Tupfern und trägt ihn fort.
Die Schalen einer stacheligen Litchifrucht liegen noch mitten im Gang. Ein Kind das hinter seiner Mutter ging hat sie achtlos fallen lassen. Ärzte und Krankenschwestern gehen an ihnen vorbei, eine Putzfrau habe ich vor der Tür kehren sehen. Ihr Eimer mit feuchten Lappen, deren ehemalige Farbe nicht mehr zu erkennen ist, steht unter einem Treppenaufgang. 
Kuh Bah Bounthanome und ich gehen zum hinteren Ausgang. Neben der Tür steht ein Wäschewagen, der von einigen Patienten und Besuchern fälschlicherweise für einen Müllkorb gehalten wurde. Auf der Schmutzwäsche, liegen Trinkpäckchen mit weißen Strohhalmen und eine Bananenschale. Man kann es den Leuten nicht verübeln, woher sollen sie den Unterschied kennen.
Für mich ist es das dritte Mal, dass ich ein laotisches Krankenhaus von innen sehe.
Auf der Fahrt zu Bounthanomes Pagode (laotisch=Wat) bin ich sehr nachdenklich und still.
Bounthanome ist es wegen seiner Schmerzen.
 

Vientiane, Dienstag
den 17. Juni 2003 

Wieder stehe ich Bounthanome im Türrahmen des Maho Sot Krankenhauses. Seine Wunde ist schon gereinigt und mit frischem Mull abgedeckt. Wir schauen hinaus auf den Regen und warten drauf das er nachlässt. Einige Meter vor uns befindet sich ein Pavillon, der Wind treibt den Regen bis an die Bänke, die den offenen Raum umsäumen. 
Ein Dach auf vier Stelzen, ein Fußboden aus Beton und die Holzbänke, auf denen jetzt niemand sitzt. Hier wohnen jene Menschen, die aus der Provinz kommen und im Krankenhaus Familienangehörige haben. Auf dem Fußboden liegen ihre Matten und Kopfkissen, an einer Steckdose hängt ein kleiner Reiskocher. Vereinzelte frisch gewaschene Wäschestücke hängen über der Bank zum trocknen, was jetzt bei diesem Monsunguss, befremdlich wirkt. Schuhe werden hastig unter den Schutz des Daches gebracht, man lacht, oder schweigt. Ich würde gerne mehr über die Menschen erfahren die hier ihr Lager aufgeschlagen haben, doch der Regen hat eine Wand zwischen uns aufgestellt.
Bounthanome möchte nur nach Hause zu mir und sich auf das Sofa legen und in meinen Büchern blättern. Heute kann ich seine Geduld nicht auf die Probe stellen. Ich fühle das er nicht in der Stimmung ist, sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, mit Menschen die er nicht kennt, ansonsten fällt es ihm leicht, wie den Meisten Laoten.
Ein alter Mann entschließt sich nicht länger zu warten, eine  Frau bietet ihm ihren Regenschirm an, den er lächelnd ablehnt. Er schlüpft in seine Schlappen und geht an der Fassade des Krankenhauses entlang, zu dem Gebäudetrakt, in dem die stationären Patienten untergebracht sind. Ich stelle mir vor, dass seine Frau vor einigen Tagen operiert worden ist und auf seinen Besuch wartet. Vielleicht hat sie Heute endlich wieder Hunger und ihr Mann kann ihr etwas zu essen kaufen.

Bounthanome sitzt in seiner rotbraunen Robe auf dem Sofa, längst ist der junge Mönch kein ungewöhnlicher Anblick mehr in meinem Haus.
 

Vientiane, Freitag
den 20. Juni 2003 

Die Holzstufen sind ohne Glanz und manche von ihnen in der Mitte leicht noch innen gewölbt. Am Ende der Treppe fällt mein Blick auf unzählige Bücher, die hier in mehreren Reihen an der Wand des Ganges hochgestapelt sind. Eine Schenkung der russischen Botschaft. In der National Bibliothek kann niemand so gut Russisch, dass die Bände aufgenommen und katalogisiert werden könnten. So werden sie wohl noch weitere Jahre den Gang zu den oberen Büros verengen.
Die National Bibliothek befindet sich in einer der vielen Villen die noch aus der Zeit der französischen Kolonie stammen. Die Villa ist in einem recht guten Zustand, die Bäume im Garten gewachsen. Bald werden sie das Dach überragen und die Villa verschwindet im grünen Schatten. An einer Seite hat man den Dog Mai Däng Baum, den vielarmigen, gepflanzt.  Einer der wenigen Bäume, die einmal im Jahr,  ihre Blätter abwerfen. Zuerst bringt der Baum im neuen Leben seine weißen Blüten hervor, die in der Mitte zart gelb sind, erst wenn die Blüten beginnen abzufallen folgen die lanzenförmigen, langen Blätter nach. Ende Mai weht der Duft seiner Blüten bis zum Nam Puh, dem Springbrunnen, der einst ein beliebter Treffpunkt der ausländischen Experts war. Der große Platz rund um den Nam Puh wurde mit roten Sandsteinen versiegelt, auf dieser geraden Fläche können die laotischen Kinder ihre ersten Übungen mit dem Fahrrad machen, die ersten Schritte üben, während ihre Eltern um den Rand des Brunnens sitzen und ihnen zuschauen. 
Wenn es Dunkel geworden ist und die Eltern mit ihren Kindern nach Hause gegangen sind, sitzen junge Paare um den Brunnen und schauen verträumt in das leicht brackige Wasser. 
Tagsüber sitzen einige Touristen mit ihren Wasserflaschen an den Steintischen, schreiben Postkarten, Tagebuch oder schauen dem Treiben rund um den Platz zu. Manche mühen sich auch mit einem laotischen Gesprächspartner ab, den sie gerne besser verstehen würden und der selbst, soviel lieber ein besseres Englisch sprechen würde, unverdrossen jeden Tag diesen Platz aufsucht um sein Englisch mit einem entgegnungsbereiten  Touristen zu üben.
 

Vientiane, Montag 
den 23. Juni 2003 

Kuh Bah (laotisch=Mönch) Bounthanome geht es schon sehr viel besser, seit Tagen ist er schon ganz schmerzfrei, die Fäden sind gezogen und eine, 10 Zentimeter lange, wulstige, rote Narbe ist ihm geblieben. Sie wird wohl auch in einigen Jahren noch gut zu erkennen sein.
Wir können unsere Lektionen wieder aufnehmen.

Am Abend in der deutschen Botschaft, Kino: Panic Room, ein Film mit Jodie Foster.

Vientiane, Sonntag
den 6. Juli 2003

Lang Xang (eine Million Elefanten) ist der alte Name des ehemaligen  königreiches Laos.
Heute gibt es nur noch eine kleine Gruppe wilder Elefanten in Laos.
1984 fand ein Bauer in der Nähe von Sekong (Süd Laos) einen weißen Elefanten.
Weiße Elefanten haben eine besondere Bedeutung und in der laotischen Geschichte wurde das Glück des Landes oft von der Gesundheit eines weißen Elefanten abhängig gemacht.
Aus Angst der Elefant könnte ihm gestohlen werden, bestrich der Bauer den Elefanten mit dem lehmigen Boden und färbte seine Haut braun. Zwei Jahre später wurde die Existenz eines weißen Elefanten offiziell bestätigt.
Die Dorfbewohner beschlossen den Elefanten der Regierung zu schenken um dem ganzen Land Glück zu bringen.
Die Familie des Bauern brachte den Elefanten nach Vientiane. Die laotische Regierung hat ihnen ein Haus in Vientiane zur freien Verfügung gestellt.
Der Elefant lebte mehrere Jahre in Vientiane und ist heute im Zoo untergebracht.
Der Zoo befindet sich außerhalb von Vientiane, auf der Straße Nr. 9 über Thanong, Richtung Norden, etwa 80 Kilometer von Vientiane. Bis vor einem Jahr hatte er noch Gesellschaft, jetzt ist er allein in seinem Elefantenhaus, angekettet an einem Pfosten.
Von einem Tisch kann man für ein paar Kip Bananen oder Gurken kaufen und ihn füttern.
Behutsam ergreift die Frucht mit seinem Rüssel und lässt sie in seinem Maul hinter gespitzten Lippen verschwinden. Ein einsames Symbol für das Glück.
 

Vientiane, Mittwoch
den 9. Juli 2003

Viseth Svengsuksa hat im letzten Jahr einen Literaturpreis für seine Kurzgeschichte: „Der Wasserbüffel Myna“ bekommen. Die Geschichte erzählt vom Zusammenhang der Dinge und das sie einander bedürfen.
Der Wasserbüffel und „Lang“, ein Vogel der sich von den Insekten ernährt, die er auf dem Rücken des Büffels findet. Diese Insekten fressen die Ernte.
Eines Tages wird Lang von einem Jäger erschossen und das System beginnt zu zerbrechen. Die Insekten kommen und fressen den Bauern die Ernte weg und Myna wird durch einen Traktor ersetzt. Der Dung des Büffels hatte die Felder genährt, der Traktor verliert Öl, dass den nahrhaften Boden vergiftet.
In seiner Kindheit gab es viele Büffel auf den Reisfeldern, heute seien es immer weniger, dies ist der Grund weshalb Visath Svengsuka eine Geschichte über Myna und Lang geschrieben hat. Auch für seine Mutter, die nicht schreiben konnte und keinen Bezug zu Büchern gehabt hat, es jedoch liebte Geschichte zu hören. Am Abend wurden an den Feuern Geschichten erzählt und weiter gegeben. Am beliebtesten waren Geschichten über den König Vatsaondon und eine Geschichte die Nang Taeng Eins heißt. Diese Tradition verschwindet mehr und mehr, doch es hindert Svengsuksa nicht daran weiter zu schreiben.
Inzwischen ist er 50 Jahre und sein Lebenslauf ist exemplarisch für viele.
Deshalb möchte ich ihn hier kurz wieder geben.
Im Alter von 14 Jahren hat er sein Dorf in der Provinz Attapeu verlassen, um in der Hauptstadt Vientiane zu leben. Er wurde ein Tempeljunge im Wat Ong Tue. Der traditionelle Namen, für Kinder die in den Tempeln leben lautet: Sangaly.
Der Junge Viseth hoffte in Vientiane eine Arbeit in einer Näherei finden zu können, da er gehört hatte, dass man mit dieser Arbeit gutes Geld verdienen konnte.
Er verliebte sich zum ersten Mal, doch das Mädchen sah auf ihn herab. Es gibt noch einen anderen Namen für Tempeljungen: Sankhiling, was soviel bedeutet die Abfälle der Affen zu essen, so sah das Mädchen ihn. Um sich selbst zu trösten, schrieb er eine Geschichte mit dem Titel: Der Tempeljunge mit dem gebrochenen Herzen.
Die Stiftung für Bildung der pädagogischen Universität, stellte Mittel zur Verfügung, die den Jungen aus Attapeu die Möglichkeit geben sollten, sieben Jahre Englisch zu studieren. Zum Glück von Viseth, war sein Name unter denen die gezogen wurden.
1968 hatte Viseth jedoch nicht das Gefühl Glück gehabt zu haben, denn viel lieber hätte er mehr über das Nähen gelernt, doch er hatte keine Wahl.
Während seinem Studiums bekam er als Praktikant bei einer Zeitung die Aufgabe für den Literaturteil zu schreiben.
1975 hatte er die letzten Prüfungen bestanden und bekam sein Diplom.
Im selben Jahr wurde sein Name abermals gezogen und er gewann ein Studium für Journalismus in der ehemaligen Sowjetunion.
1981 schloss er das Studium des Journalismus erfolgreich ab und kehrte nach Laos zurück.
Er arbeitete für die Zeitung Noum Lao.
1985 erschien sein erstes Buch: Doppelhochzeit.
Viseth Svengsuksa wurde versetzt in die Jugendorganisation, in die Abteilung für Außenbeziehungen.
1989 wurde er zum Mitglied der zweiten Legislatur Periode in die Nationalversammlung, gewählt.
Bis heute ist er Mitglied der Nationalversammlung.
Seine politische Karriere hat ihn nicht abgehalten vom Schreiben.
1995 erschien sein zweites Buch: Der klagende Fluss
2000 Der Wasserbüffel Myna
2001 Ich schreibe mit meinem Herzen
Um den zwei Leben in seiner Brust gerecht werden zu können, hat er sich eine strenge Stundeneinteilung angeeignet, nach der seine Arbeit bestimmt wird.
Jeden Tag um 4 Uhr 30 steht er auf und schreibt, bis 6 Uhr 30. Nach dem Frühstück beginnt seine Arbeit für die National Versammlung bis spät am Abend.
Bevor er zu Bett geht liest er.
Viseth Svengsuksa hat drei Töchter und hofft noch viele Bücher schreiben zu können. Er träumt davon jungen Menschen das Schreiben nahe zu bringen. Langsam belebt sich die Literaturszene in Vientiane und viele Kurzgeschichten und Gedichte warten darauf gedruckt zu werden.
 

Vientiane, Sonntag
den 13. Juli 2003

Heute vor 94 Jahren wurde ein Cousin des letzten Königs von Vientiane geboren (13. Juli 1909, nach unserer Zeitrechnung). Im Ausland wird er der „rote Prinz“ genannt. Soupanouvong wurde 1950 erster Präsident, der jungen Lao  Peopels Democratic Republik (P.D.R)
Seine Asche befindet sich in einer Stupa, am Rand des großen That Luang Platzes.
In einem der Tempel, um das That Luang, fand heute eine Feier zur Ehrung des ersten Präsidenten statt.

Vientiane, Sonntag
den 2. November 2003

Kamla bittet mich mit seiner Frau ins Krankenhaus zu fahren.
In der Hütte aus Bambus liegt sie auf einer schwarzen Plastikplane. Ein dickes Tau, aus zusammengerollten Tüchern hängt von einem Balken an der Decke. Man rechnet mit der Geburt des Kindes, dass sie erwartet. Ihre Augen wirken zu groß für ihr schmales Gesicht, in dem ein schwaches Lächeln erscheint, als ich mich neben sie auf den Fußboden setze. Seit heute Nachmittag hat sie Bauchschmerzen und ist so müde, so schrecklich müde. Der kleine Raum ist angefüllt mit Frauen und Kindern. Zwei der Kinder sind ihre eigenen. Mitfühlend erzählt eine Nachbarin von den Leiden und das das Baby einfach nicht kommen wolle. Während ich zuhöre liegt mein Hand auf dem Bauch, in dem sich einmal das Baby bewegt hat, danach war es wieder ruhig. Keine Wehen, die den Bauch hart werden lassen. Heute wird das Baby sicher nicht geboren werden.
Trotzdem fahren wir ins Krankenhaus. Ich möchte wissen warum Tau so müde ist und schlapp. Kamla und zwei Frauen begleiten uns ins Krankenhaus. Kamla legt sich den Sicherheitsgurt über den Kopf, auf die linke Schulter. 
Vor dem Krankenhaus gibt es ein kleines Problem mit der Autotür, trotz gemeinsamer Bemühungen bekommen Kamla und Tau die Tür nicht auf, dass dauert so lange, bis ich um das Auto herum bin und Tau erlöse. 
Tau stützt sich abwechselnd auf mich und die Nachbarin. Ein Mann in einem schmutzigen weißen Kittel bringt einen Rollstuhl, die Zigarette hat er achtlos auf eine Mauer gelegt, dort wartet sie auf seine Rückkehr.
Immer wieder erzählt Tau, mit leiser Stimme, verschiedenen Menschen in Kitteln, ihre Leiden. Bis wir endlich einer kräftigen Frau, in grüner O.P.- Kleidung gegenüber stehen. Wir sind vor den Kreissälen, dort befindet sich das Untersuchungszimmer in dem Tau mit mir verschwindet. Die kräftige Frau folgt uns, sie ist hier die Hebamme. Ich bin angenehm überrascht. 
Tau steigt über einen offen Eimer mit einem schwarzen Müllbeutel, in dem Mull und Tupfer in Besorgnis erregenden Farben liegen. Natürlich wurde der rote Plastikbelag des Untersuchungsstuhles nicht desinfiziert, auch die Spritzer an den grünen gestrichenen Wänden, können mich nicht mehr schockieren. Dies ist für  Laoten das Beste Krankenhaus in ganz Laos. Die meisten Ärzte, Schwestern und Hebammen tun ihr Bestes.
Untersuchungshandschuhe sind keine da. Man behält sie sich für Operationen vor. 
Tau hat Übungswehen, dass sei ganz normal, dass Baby hat sich zwar schon gedreht, aber es wird noch eine Weile dauern, bis es geboren wird. „Drei bis vier Wochen?“, frage ich, damit Tau und Kamla eine ungefähre Zeitvorstellung haben, denn seit drei Wochen warten sie schon fast täglich auf das Baby, dass lange Warten stelle ich mir unerträglich vor und für mich ist es auch ein wichtiger Grund für Tau´s Dauererschöpfung und ihre Bauchschmerzen.
Die Hebamme zaubert aus dem Nichts ein gelbes Maßband und misst die Wölbung des Bauches, vom Schambein bis unter die kleinen Brüste. „17 Zentimeter.“, sagt sie, als sei damit meine Frage erschöpfend beantwortet.
Möglicherweise ein Hebammenwissen, dass in unseren Krankenhäusern bereits vergessen wurde – ich sinne darüber nach.
In zwei Tagen sollen wir zum Ultraschall kommen. Ich weiß das man durch das Messen von Kopfumfang und Länge der Gliedmassen, Rückschlüsse auf die Schwangerschaftswoche ziehen kann und damit den Geburtstermin eingrenzen und in etwa voraus sagen kann - in Deutschland.

Kamla und Tau wissen nun zwar immer noch nicht, wann ihr Baby kommt, aber sie wissen das erst einmal alles in Ordnung ist und das es jetzt noch nicht so weit ist. 
Ich fahre noch an einem Nachtmarkt vorbei und kaufe ein gegrilltes Hühnchen, Klebreis, Gulasch mit Kartoffeln und Baguette, kleine Nektarinen und ein Bündel der köstlichen fingerdicken Bananen.
Kamla soll heute nacht bei seiner Frau bleiben und sie zum Essen ermutigen.
Leider konnte ich den Arzt nicht dazu bringen, dass er Tau sagt, dass Betel kauen schlecht für sie und das Baby ist.
Betel kauen nimmt das Hungergefühl, im Vietnamkrieg deshalb weit verbreitet, wenn man kaum etwas zu Essen hatte.
Leider hat er mich nicht verstanden. Das  laotische Wort für Betel wollte und wollte mir nicht einfallen, auch meine Umschreibungen, dass nur alte Frauen es kauen und das sie oft ausspucken und das „Wasser“ das sie Spucken, rot wie Blut ist.
Umschreibungen irritieren die Laoten meist und sie folgen einem immer verwirrter, es fällt ihnen schwer zu verstehen warum sie das erzählt bekommen. 
Meine Bemühungen fruchteten darin, dass er ihr sagte wie wichtig es sei zu essen, vor allem Huhn, Gemüse und Fisch.
Eine Vokabel nur fehlte.
Tau kaut weiter Betel!
 

Wat Pohn Sei, Vientiane
Montag den 3. November 2003

Dies ist der Morgen, an dem Kuhbah Bounthanome, zum letzten Mal als Mönch aufwacht.
Er hat lange an diesen Gedanken getragen, nun ist er an einer Entscheidung angekommen.
Es ist Montagmorgen in Wat Pohn Sei, einer der Novizen schlägt die Glockenröhre, aus einem Baumstamm. Dumpf schwebt der Klang über die Häuser, in denen Novizen und Mönche wohnen. Es ist 4 Uhr. Im Sim, vor dem milde lächelnden Buddha, versammeln sich die Mönche und Novizen. Der Gebetssingsang gleitet hinauf zu Buddha und aus den Fenstern des Sims, vorbei an den schweren, reich verzierten, hölzernen Fensterläden, in die Häuser der Menschen. 
Ich weiß nicht was in Kuhbah Bounthanome zu dieser Stunde vorgeht.
Ich weiß gar nichts und soll seinen Austritt auch erst 4 Tage später erfahren.
Dennoch an diesem Morgen besteigt er in Straßenkleidung den Bus, nach Champasak.
Die Provinz in der seine Eltern leben.

Vientiane, Mittwoch
den 5. November 2003 

Tau lächelt schon zuversichtlicher. Sie hat draußen vor der Hütte auf mich gewartet, sobald sie mein Auto sah, lief sie schon  ins Haus um ihre Schuhe zu holen.
Ihr Sohn weint, weil er nicht mit ins Krankenhaus fahren darf, er würde so gerne in einem Auto sitzen. 
Tau hat sich schön gemacht, sie trägt einen Sin (traditioneller, knöchellanger Rock, mit gewebter Borte am Abschluss), ihr Einziger.
Im Krankenhaus gehen Kamla und Tau, nicht so gedrückt wie am Sonntag umher.
Ich möchte das Tau zuerst ein Patienten-Buch bekommt. In diesem Buch wird alles eingetragen, Untersuchungsergebnisse, verordnete Medikamente, letzter Arztbesuch und Befund.
Tau muss viele Fragen beantworten, alles wird eingetragen. Ich höre auch den Tag ihrer letzten Blutung und nehme mir vor, sobald ich etwas Ruhe finde, in meinem Kalender die Wochen abzuzählen. Ich hätte sie danach längst gefragt, aber ich war sicher das sie das Datum nicht weiß.
Ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie sich zu Fragen beginnt, wozu all diese Fragen an sie gestellt werden. „Die Schwester fragt aber viel. In Deutschland ist das auch so. Ich habe all diese Fragen auch schon beantwortet.“ Zum ersten Mal lächelt auch die ernste Krankenschwester und Tau antwortet wieder entspannter. 
Kamla hört interessiert zu, es ist ihm anzusehen, dass er vieles auch nicht wusste. 
Ob ihre beiden vorherigen Schwangerschaften normal gewesen seien. 
Wo sie entbunden habe. Ob die Geburten komplikationslos verlaufen seien. 
Erstaunt höre ich das Tau erst 33 Jahre jung ist, sie sieht viel älter aus. Dieser Eindruck wird durch die geröteten Lippen und roten Zähne, die vom Betelkauen stammen noch verstärkt, hinzu kommt das sie sehr dünn ist, als könne der Wind sie davon tragen, wäre da nicht die Wölbung ihres Bauches.
Tau wird gründlich untersucht.
Sorgfältig wird alles in ihr Patientenbuch eingetragen, dass speziell für Schwangere ist. So wird auch gemessen, gewogen, Blutdruckwerte und da das Heft auch ein Blutbild vorsieht, gehen Kamla und ich hinunter ins Labor und kaufen eine Spritze und bezahlten die spätere Laboruntersuchung gleich mit. 20.000 Kip (1,90 Euro).
Tau liegt an einem Wehenschreiber, ohne Papier. Sie ist allein in dem Raum und ich gehe zu ihr. Ich erkläre das dies der Herzschlag ihres Kindes ist, der elektronisch verzerrt, den Raum erfüllt. Ungläubig schaut sie mich an, doch dann hört sie andächtig zu. Auch Kamla hört das schnelle Pulsen auf dem Flur. Er hat gehört was ich gesagt habe und kommt in den Raum – ich lasse die Beiden allein.
Schade das niemand Tau gesagt hat, was da zu hören ist. 
Ich zähle die Wochen in meinem Kalender und komme in die erste Woche des neuen Jahres! 
Später erzähle ich Kamla und Tau davon und werde vom Phi Mei Falang sprechen.
Phi Mei (Jahr Neu), Falang (eigentlich Franzose; aber immer noch allgemein gebräuchlich für Ausländer).

Leider muss ich die Beiden im Krankenhaus allein lassen. Ich habe Unterricht an der internationalen Schule. Die Nachbarin fährt mit in ihr Dorf zurück.
Heute wird sie nicht arbeiten. Ihr Holzkarren bleibt vor ihrem Haus stehen und wird nicht mit der Waage und dem Gemüse beladen. Pack Pohn! (Pause)

Vientiane, Samstag
den 8. November 2003 

Zwei Mal wird Kamla in der Nacht von seinem jüngeren Bruder geweckt. Tau hat Bauchschmerzen, sagt er. Kamla schickt ihn wieder nach Hause.
Um fünf Uhr morgens, sind die „Bauchschmerzen“ so stark, dass Baby will kommen!
Kamla fährt mit dem Fahrrad in sein Dorf, zum Glück hat er es nicht weit.
Ich schlafe wieder ein.
Das Baby ist da als ich am Frühstückstisch sitze!
Aus Kamla sprudeln die Ereignisse der letzten Stunde. Er sieht müde und glücklich aus.
Sobald Kamla zu Hause ankam, sind sie in das Krankenhaus gefahren, dass nach der Anzahl seiner Betten benannt wurde 103, Leu Sam. Es ist ein Militär-Krankenhaus und viele Babys sind hier schon zur Welt gekommen.
Tau bekommt ihr Baby, eine Stunde später nach dem sie im Krankenhaus angekommen ist. Ein Siebenmonats-Baby. 1.900 Gramm. Ein Winzling, der wäre es tatsächlich ein Siebenmonatskind, wohl in den Brutkasten käme und in Vientiane die beste Chance hätte, die er in Laos haben könnte.
Am Sonntag sollen Tau und ihr Baby wieder nach Hause dürfen.
Wie lange die Schwangerschaft gedauert hat und wie alt das Baby tatsächlich ist, lässt sich nicht feststellen, nicht in Laos. Das Datum das Tau genannt hat, kann nicht richtig gewesen sein. Nur ihre Bauchschmerzen, waren mehr als Übungswehen, diesmal. 
Ihr  Sohn ist geboren, während am Nachthimmel eine ganz besondere Konstellation zu erwarten war, eine die sich nur alle 8.000 Jahre wiederholt – gut gewählt kleiner Mann!
Heute fahre ich nach Udone Thani, in Thailand und werde all die Dinge kaufen, die ein neuer Erdenbürger braucht.
Tau und ihr Sohn sollen willkommen werden, von einem Raum der auf sie wartet und vorbereitet ist, auf die neuen Bedürfnisse.
Einfach wird es nicht für Tau!
Kamla hat insgesamt über 1 Million Kip von mir bekommen, für die bevorstehende Geburt und um eben jene Dinge zu kaufen, die ich heute kaufe. Bereits am Mittwoch, im Krankenhaus musste er sich Geld bei mir leihen. 
Ich bin ärgerlich. 
Kamla würde am liebsten in einer anderen Provinz arbeiten und Tau, das Baby und ihre beiden Kinder in Vientiane lassen. Er will fliehen, er hat Angst bekommen vor der Verantwortung, die er plötzlich hat. 
Das er stolz ist und seinen Sohn liebt steht dazu in keinem Widerspruch!

Nein, einfach wird es für sie alle nicht.
 

Vientiane, Dienstag
den 11. November 2003 

Es ist Abend, in einer Stunde wird es ganz dunkel sein. 
Lany und Suk waren auch Heute wieder auf dem Markt und haben für Tau eingekauft. Gegrilltes Huhn, Klebreis, Blattgemüse und ein „Fächer“ Bananen. Was vom Geld übrig blieb haben sie Tau gegeben.
Silvan und ich machen uns zu Fuß, auf den kurzen Weg, zu Kamlas kleiner Hütte, die auf  einem großen Platz mit anderen  ähnlichen Hütten und Stelzenhäusern steht, ein kleines Dorf in der Stadt. Unzählige Dörfer bilden so Vientiane, man wird sie nicht gleich finden, man muss von den Hauptstraßen, den kleinen ungeteerten, oder geteerten Nebenstraßen folgen, schnell findet man sich mitten in einem solchen Miniatur-Dorf wieder.
Ich bin froh das Kamla und Tau dort eine Hütte haben. Man hält zusammen und kümmert sich um einander. Eine intakte Gemeinschaft.
Kamla hat sein Haus von einer Marktfrau, die einen Karren besitzt und damit all abendlich zum Markt fährt und Gemüse verkauft, gemietet. In den vergangenen Monaten hat diese Frau oft Gemüse an Tau verschenkt, damit sie für sich und die Kinder etwas, außer Reis, im Topf hatte. 150.000 Kip (11 Euro) zahlt Kamla für die Hütte und das gemauerte, offene Wasserbecken, dass etwa 150 Liter Wasser fasst. 
Auch ihre Hütte steht auf Stelzen, doch sie sind nicht sehr hoch und ich hebe Silvan auf die kleine Veranda, die nur einen Meter breit ist. Ein laotisches Haus betritt man ohne Schuhe und auch Silvan, der gerade zwei Jahre alt ist weiß das.
Tau liegt schon auf dem Feuer. Unter ihrem Bett, auf Stämmen dreier Bananenstauden, auf denen Wellblech liegt, glühen die Kohlen. Die Bananenstämme, verhindern, dass sich das Feuer durch den Holzfußboden frisst.
Nach der Tradition, soll Tau drei Monate auf dem Feuerbett schlafen. Die glühenden Kohlen werden rund um die Uhr erneuert. Böse Säfte, sollen aus dem Körper kommen.
Diese Tradition wird auch in den heißesten Monaten durchgeführt und im April und Mail müssen die Frauen oft mit erheblicher Hitze fertig werden.
Tau hat es gut getroffen, die Nächte im November können schon recht kühl werden. Tagsüber ist es heute noch über 30 Grad gewesen. In der Hütte ist es warm, aber nicht unerträglich. Tau setzt sich vor das Bett, die glühenden Kohlen hinter ihr.
Vor Moskitos geschützt unter einer Kuppel aus rosa Netz, liegt der Winzling. Nie in meinem Leben, habe ich einen so kleinen Kopf gesehen, vorsichtig schiebe ich das Tuch, das ein winziges Gesicht halb verdeckt, zur Seite. Es ist alles da, ich erkenne sogar Tau´s Nase wieder. Lange schaue ich in dieses kleine Gesicht, es ist nicht größer als das einer Puppe.
Manchmal scheint es für einen kurzen Augenblick, als spiele ein Lächeln um den feinen Mund. Von einem Händchen hat sich der Handschuh gelöst und winzige Finger sind zu sehen, mit Fingernägeln wie neugeborene Muscheln, so klein. 
Die Hand nicht größer als ein Rosenblatt. Die Hautfarbe rosig – es scheint diesem kleinen Wesen gut zu gehen.
Tau ist besorgt, sie habe kaum Milch, sie versucht ein paar Tropfen auszustreichen, aber nicht einmal ein Hauch von Feuchtigkeit zeigt sich. Es ist der dritte Tag. Ich tröste sie, jetzt wird es nicht mehr lange dauern. 
Bei ihren beiden ersten Kindern hat sie lange gestillt und genug Milch gehabt. Das macht mich zuversichtlich und ich versuche diese Zuversicht an Tau weiter zu geben. Die Frauen in der Hütte, die schon Kinder haben, raten ihr mit beschwörenden Blicken viel heißes Wasser zu trinken und gut zu essen.
Kamla möchte das ich helfe einen Namen für den Sohn zu finden. Ich merke ihm an, dass er damit rechnet, dass mir gleich der richtige und treffende Name einfällt. Über die kindliche Erwartung in seinen Augen muss ich lächeln und ich kann mich nicht einmal auf die laotischen Namen konzentrieren die ich kenne.
Später denke ich an „heller Mond“, weil der Mond noch fast voll ist und in diesen Tagen besonders hell zu scheinen scheint, dann denke ich daran das der kleine Mensch, am frühen Morgen, gegen 6 Uhr geboren wurde und der Mond, zu dieser Stunde längst von der Sonne verdrängt war. 
Vielleicht sollten sie in den Tempel gehen und einen glückbringenden Namen von einem alten Mönch erbitten, der diese Tradition noch beherrscht.
 

Vientiane, Samstag
den 15. November 2003 

Bounthanome ist gekommen um den Garten zu wässern. 
Kamla ist noch zu Hause bei Tau und dem Baby. 
Bounthanome sucht Arbeit, am liebsten würde er bei mir arbeiten aber ich habe schon drei Hausangestellte. Er macht sich nützlich wo er nur kann. Das er nun im Garten die Pflanzen gießt ist nur eine vorübergehende Lösung, solange bis Kamla wieder zur Arbeit kommt. Auf meine Frage ob er noch Geld hat, antwortet er stets mit: „Ja.“ Er hat sich ein Fahrrad gekauft um zur Schule zu fahren 465.000 Kip (ca 42 Euro) hat er bezahlt, dass ist sehr viel Geld für ihn. 
Vor ein paar Tagen habe ich versucht ihm Geld zu geben, er hat es nicht angenommen und ließ es auf dem Tisch liegen. 
Ich versuche ein Zimmer für Bounthanome zu finden, bei Freunden oder anderen Experts hier in Vientiane, aber es gestaltet sich schwierig. 
Vielleicht ist es die beste Lösung, wenn Bounthanome sich mit Pohnsavann zusammen tut. Ich habe über einen Freund von Pohnsavann erfahren. Mir war eingefallen das dieser Freund einen Raum in seinem Haus leer stehen hat und so beschloss ich ihm von Bounthanome zu erzählen. Da erzählte er mir von „seinem Mönch“ wie er augenzwinkernd sagte. 
Er hat am gleichen Tag wie Bounthanome die Robe ausgezogen, auch er wohnt immer noch in der Pagode (laotisch: Wat) und sie besuchen die gleiche Englischschule. Kennen gelernt haben sie sich bisher noch nicht. Das Geld für die Schule von Pohnsavann kommt aus Deutschland. Entwicklungshelfer hatten ihn während ihre Arbeit in Laos kennen gelernt und versprachen ihm seine Schule zu bezahlen, wenn sie wieder zurück nach Deutschland gehen werden, daran haben sie sich gehalten und überweisen den Betrag für ein Jahr, auf das Konto eines Entwicklungshelfers, der die nächsten zwei Jahre noch in Laos arbeiten wird. Jener Freund, an dessen leeres Zimmer ich dachte.
Wir bewegen uns auf einem schwierigen Grad, einerseits wollen wir gerne helfen, andererseits wollen wir keine Abhängigkeiten schaffen.
Hilfe zur Selbsthilfe.
Vielleicht können wir die Beiden ehemaligen Mönche  miteinander bekannt machen und sie finden ein kleines Haus, das sie gemeinsam mieten können.
 

Vientiane, Montag
den 17. November 2003 

Kino an der deutschen Botschaft in Vientiane. Der Film: Winterschläfer.
Unser heutiges Publikum sind Touristen, die neugierig auf den Film, auf die deutsche Botschaft – oder beides zusammen sind. Die Meisten haben unseren Aushang in der Stadt gesehen, oder wissen aus dem Lonly Planet, dass es hier jeden Montagabend Kino gibt.
Als es schon dunkel ist, geht noch einmal die Türe auf, es ist nicht zu erkennen, wer da gekommen ist. Erst als der Abspann durchgelaufen ist und das Licht angeht, sehe ich noch das laotische Ehepaar, schon hat der Mann die Klinke in der Hand. 
Aus unserem ersten Gespräch, vor etwa zwei Jahren, weiß ich das er von 1976 bis 1981 in der DDR Forstwirtschaft studiert hat. 
Er kommt selten zum Kino, aber wenn dann immer mit seiner Frau, die kein Wort deutsch spricht und ihn dennoch begleitet, falls sie sich langweilt, ist es ihr nie anzumerken. 
Schade das ich nicht kurz mit ihnen sprechen kann. Der braune Vorhang hat sich bereits wieder hinter ihnen geschlossen.
 

Vientiane, Dienstag
den 18. November 2003 

Beinahe wäre es untergegangen: Das Laos Tagebuch feiert heute seinen vierten Geburtstag im Net! So viel ist geschehen, gesehen und geschrieben worden.
Einhundertzweiundsechzig Seiten. Wie viele es wohl geworden wären, wenn ich alles aufgeschrieben hätte, wenn mich nicht das rasche fließen der Zeit, an meine anderen Aufgaben gemahnt hätte. Es ist nicht wahr, wie so oft behauptet wird, dass die Zeit in Laos gemächlich dahin tröpfelt!
Ich habe nicht alles aufgeschrieben, was wichtig wäre zu erzählen.
Ich habe und werde mich politisch zurück halten und auf die Kunst der Zwischenzeilen zurückgreifen, so wie ich es auch bisher gehalten habe.

       Das Laos Tagebuch hat Geburtstag, ein Grund die Vergangenheit zu durchstöbern.
       Entführt werden in Erinnerungen und manches wieder finden, dass vergessen schien.
       Verliere Zeit im Archiv und finde dafür etwas anderes. . . . . .

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